Rauch auf dem Wasser von Michael Terpitz

 
harper
 
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Rauch auf dem Wasser von Michael Terpitz

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Gepostet: 07.06.2009 - 17:08 Uhr  ·  #1
eines meiner Lieblingsbücher:

Rauch auf dem Wasser von Michael Terpitz

Ich denke jeder der zu DDR-Zeiten im Osten Schallplatten gesammelt hat wird sich hier in vielen Passagen wiederfinden.

aus dem Inhalt:

Jimi ist ein strikt unpolitischer Bürger der DDR:

"Mir war der Sozialismus an sich - ob nun demokratisch oder nicht - ziemlich egal, solange er mich in Ruhe ließ, und das tat er weitestgehend. Der Sozialismus und ich, wir hatten uns arrangiert - 'friedliche Koexistenz' nannte man das wohl."

Er hat zwar für jede seiner Schallplatten eine eigene "Kaderakte" angelegt - wann und für wieviel erworben, Zustand am Tag der Anschaffung, aktueller Zustand, Zeitwert, Genre usw. -, doch sein eigener Kaderentwicklungsplan interessiert ihn nicht die Bohne: Er will im Sozialismus nichts werden, er ist weder "Genosse" noch überhaupt politisch interessiert oder engagiert: "Die Revolution ist unmusikalisch", glaubt er mit Helmut Salzinger, und so engagiert sich Jimi allein für die Musik. Seine Leidenschaft für die schwarze Vinylscheibe dominiert sein Dasein, seit er mit "Tipitipitipso" seine erste "Westschallplatte" in Händen hielt.

West-LPs sind zu DDR-Zeiten unschätzbare Valuta, und so ist der Schallplattensammler bald auch als Schallplattenhändler dick im Geschäft. Das Tausch- und Rauschmittel West-LP bringt ihm die ersehnte Kühltruhe ein, erweckt den krebskranken Klaus zu neuem Leben und fungiert - ähnlich wie Prousts "Madelaine" - als Auslöser seiner Erinnerungsarbeit. Denn der Roman "Rauch auf dem Wasser" (by the way: Müsste es nicht heißen "Rauch über dem Wasser"?) erzählt eine DDR-Biografie am Leitfaden der Schallplattensucht seines Protagonisten.

Das Universum seiner Rede kennt dabei nur wenige Fixsterne: Neben Josie und dem "Vinyleck", dem Warnemünder Plattenladen, sind dies die Freunde und Tauschpartner sowie die Mitglieder der "Rolling-Schieter-Band", mit der Jimi alias "Schieter" ("Scheißer") wochenends Konzerte gibt. Doch da hinter diesem Buch eine echte Leidenschaft spürbar wird und sein Autor ein Lebens- und Überlebenskünstler zu sein scheint, der seiner "Wunderdroge" Musik viel Witz abzugewinnen weiß, liest sich seine sympathische Realsatire lustvoll: Sie hat "Klasse", auch wenn Jimi mitunter als nerviger "Klaugschieter" ("Klugscheißer") erscheint, etwa wenn er hemmungslos sein Spezialwissen über Auslandspressungen, seltene Labels, unmögliche Besetzungen, Tauschtarife und dergleichen absondert. Seine Einblicke in die Lebenswelt des "Pseudosozialismus" der DDR sind nicht weniger als lehrreich - und oftmals köstlich noch dazu: Da wird von Janek erzählt, der seinen Job verliert, weil er beim Simultanübersetzen schon des öfteren eingeschlafen ist, oder vom ehemaligen Kaderleiter Erwin Bumerang, der im Kapitalismus pleite geht und sich die DDR zurückwünscht.

"Rauch auf dem Wasser" spürt einem Individualismus in der Geschichte des Kollektivismus nach, der vermutlich kein Randphänomen war - wie sonst hätte es zur friedlichen Revolution von 1989 kommen können? Auch darauf übrigens versucht der Roman eine Antwort zu geben - und bietet dem gesellschaftspolitisch interessierten Leser eine Fülle kluger, einleuchtender und mitunter verblüffender Einsichten, Stichwort "Pragmatiker zu Wendehälsen".

Dem Buch ist ein Soundtrack beigegeben - Prädikat "hörens- und lesenswert" -, und das letzte Kapitel firmiert unter "Bonustrack". Kein Scheiß (Schiet)!

Von Lutz Hagestedt



Gruß Harper
freaksound
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Re: Rauch auf dem Wasser von Michael Terpitz

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Gepostet: 08.06.2009 - 09:50 Uhr  ·  #2
da kann ich jetzt als Wessi nicht mitreden, klingt aber nach einem interessanten und amüsanten Zeitdokument.
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