Beat in der Provinz - Erinnerungen

So war das 1964 - 1967

 
Xhol
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Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 11.11.2006 - 16:16 Uhr  ·  #1
Ich will mal versuchen, am Beispiel meiner Jugend in Schwäbisch Hall zu erzählen, wie das damals, also so 1964 – 1967, war.

Die Bands:
Natürlich waren das alles Amateure. Schüler, Lehrlinge, zwischen 16 und 19 Jahren alt, die in der Freizeit in einem muffigen Keller geprobt haben und anhand von Singles versucht haben, Beat-Hits nachzuspielen. Noten konnten nur die wenigsten lesen.
Jede Provinzstadt hatte ihre Lokal-Matadore. In Schwäbisch Hall gab es zwei Bands, die erbittert um die Vorherrschaft gekämpft haben.
Einmal die Peers und dann die Yankees.
Die Peers waren von ihren instrumentalen Fähigkeiten klar im Vorteil. Bei den Yankees konnte es schon mal vorkommen, dass sie mitten in einem Song abbrechen mussten, weil sie den Faden verloren hatten und nicht wussten, wie es weitergeht.
Die Besetzung war natürlich klar: Lead-Gitarre, Rhythmus-Gitarre, Bass, Schlagzeug, für die vocals war meist der Rhythmus-Gitarrist zuständig.

Das Equipment:
Gitarren, Mikros und Schlagzeug unbekannter Marken, meistens gebraucht irgendwo billig erstanden. Verstärker/Lautsprecher: ebenso, da standen auf Stühlen so kleine Geräte, die kaum in der Lage waren, auch nur einen Raum von 100 qm ordentlich zu beschallen. PA-Anlagen gab es nicht, die damals sogenannten „Gesangsverstärker“ bestanden aus kleinen schmalen Böxchen, der Schlagzeuger musste mangels elektrischer Verstärkung eben genügend Krach machen – aber nicht zu viel, sonst hat man Gitarren und Gesang nicht mehr gehört. Falls sich mal ein Gitarrist, weil er wohlhabende Eltern hatte, einen Echolette-Verstärker zulegen konnte, war er schon fast ein Gott.

Das Repertoire:
Cover-Songs, keine Eigenkompositionen. Erstaunlicherweise bei uns damals kaum Beatles- oder Stones-Songs. Eher Sachen von den Animals, Yardbirds, Kinks, The Who usw. Dann mal so ein paar aktuelle Eintagsfliegen von Casey Jones & The Governors, Sam The Sham , um dem Publikum etwas Neues zu bieten. Das alles reichte gerade mal für zwei 30-minütige Gigs, dann hat man eben wieder von vorne angefangen.

Die Locations:
Turnhallen. Oder gelegentlich mal – wenn der Wirt „progressiv“ war, der Saal einer Gaststätte, in dem sonst der örtliche Gesangsverein geprobt und seine Weihnachtsfeier abgehalten hat. Meist mit furchtbarer Akustik. In Schwäbisch Hall war die Turnhalle des Ringer-Vereins ASV das Mekka der Beat-Musik.
Vor der meist provisorisch aufgebauten Bühne in diesen Lokalitäten gab es eine Tanzfläche, dahinter dann lange Tische und Bänke. Als Getränke gab es – entsprechend dem jugendlichen Publikum – nur Alkoholfreies: Cola, Bluna, Apfelsaft.
Die Konzerte fanden am Wochenende, meist am Sonntag, statt. Beginn 18 Uhr, Ende pünktlich 22 Uhr. Dies aus zwei Gründen: erstens, weil das jugendliche Publikum dann zuhause sein musste und zweitens, weil dann die Band schon zum mindest dritten Mal ihr Repertoire durchgespielt hatte.
Vor den Locations standen reihenweise die Mopeds und sogenannten 50 ccm – „Kleinkrafträder“, meistens von Typ Kreidler Florett.

Das Publikum:
Eigentlich immer das gleiche. Alles, was zwischen 14 und 20 Jahren alt war und nicht dem deutschen Schlager der 60er oder dem zu Ende gehenden Rock & Roll verfallen war. Manche Jungs mit sehr „kühnem“ Haarschnitt, d.h., die Länge der Haare überschritt die 3 cm-Grenze geringfügig und die obere Hälfte der Ohren war leicht bedeckt, und, wenn sie ganz progressiv sein wollten, ohne Krawatte. Die Mädchen mit hochtoupierten Haaren und, wenn sie ganz gewagt aussehen wollten, mal mit einem Rock, der die Knie sehen lies. Man ist zu diesen meist 2-wöchentlich stattfindenden Beat-Abenden gepilgert und hat sich eigentlich immer die gleichen Songs wieder angehört wie 2 Wochen vorher und die gleichen Leute getroffen. Die ASV-Halle war immer voll.

Das Ende:
Irgendwie war 1967 Schluss. Die Bands haben sich aufgelöst, das Publikum hatte kein Interesse mehr an der mittlerweile überholten Beat-Musik. Viele sind in die Niederungen der trivialen Pop-Musik abgewandert, andere – wie ich – haben sich mit neuen, interessanteren Formen der zeitgenössischen populären Musik beschäftigt.
Und so ging dann eine Ära zu Ende.

Reinhard
The Return of Brian J.
 
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 11.11.2006 - 18:37 Uhr  ·  #2
Zitat geschrieben von Xhol
Irgendwie war 1967 Schluss. Die Bands haben sich aufgelöst, das Publikum hatte kein Interesse mehr an der mittlerweile überholten Beat-Musik.


Sehr treffend beschrieben, superextraklasse.
Ja, stimmt, 1967 war so was wie eine Wende.
Die frühe Beatmusik hatte ihre Unschuld verloren.
Die Beatles hörten auf live aufzutreten, da sie der gewachsenen Studioqualität eines Sgt. Peppers Album Tribut zollen mussten und ihre Musik mit der damals möglichen Equipment-Ausrüstung auf der Bühne nicht zu realsisieren war.
Die Musik veränderte sich. Hendrix und Clapton (mit Cream) jammten in 20minütigen Live-Versionen, Pink Floyd und Moody Blues brachten Keyboards und psychedelic-Spielereien mit ein. Aus den Staaten überrollte die gut tanzbare Soulwelle einen mit Bläsern und funky Drum/Bass Rhythmus überlagerten Sound, der von Amateurgruppen kaum nachspielbar war.
Ja, lieber Xhol, deine frühen Soul Caravan zeigten, dass es auch anders ging. Bei uns gab es die Silhouettes aus Neuwied, die sich ebenso in den Folgejahren mit Bläsern und Orgel verstärkten und sich an Songs von Otis Redding, Wilson Pickett und Booker T & the M.G.`s wagten.
Xhol
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 11.11.2006 - 20:01 Uhr  ·  #3
Ja, ab 1966/67 hat die amerikanische Musikszene sozusagen „zurückgeschlagen“. Einerseits mit dem R&B-betonten Soul und dann ab Anfang 1968 mit den ersten Rock-Bands, die als „Underground“ bezeichnet wurden.
Damit war dann endgültig Schluss mit den englischen Vorbildern und den Beat-Musikern mit Anzug und Krawatte.
Und die deutschen Beat-Bands hatten weder die musikalischen noch die instrumentalen Fähigkeiten, da mitzuhalten bzw. nachzuziehen. Fast alle ihrer Versuche sind gescheitert bzw. ins seichte Pop-Gefilde abgerutscht.
Man könnte nun die Geschichte der deutschen Beat/Rock/Soul-Musik weiterschreiben. Denn gerade diese Übergangszeit zwischen deutscher Beat-Musik und dem Krautrock ist weitgehend unbekannt und kaum dokumentiert. Aber auch diese relativ kurze Periode ist ein sehr weites Feld, eigentlich eine Examensarbeit für Musikwissenschaftler. So etwas in Kurzform darzustellen, geht nicht. Deshalb probiere ich es auch gar nicht und belasse es bei meinem Thread und dieser kurzen Ergänzung.
Falls sich aber jemand anderes berufen fühlt: Don’t hesitate - write!
The Return of Brian J.
 
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 12.11.2006 - 15:21 Uhr  ·  #4
Zu den Locations:
Bei uns in Kruft gab es den Club 2000; ich glaube er hieß zu dieser Zeit aber noch Gasthof zur Harmonie.
Im ehemaligen Kinosaal fanden ca. monatlich sogenannte Jugendbälle statt, und zwar sonntags von 15:00h - 22:00h (deckt sich also mit deinen Erfahrungen).
Anfangs spielten hier Bands aus der näheren Umgebung, beispielsweise
The Silhouettes aus Neuwied: Sehr starke Truppe, instrumental und vocals auf recht hohem Niveau. Ihre beiden 45er sind ja auch auf der Rheinstones, aber auch auf weiteren Deutsch-Beat-Sampler verewigt.

The Royal Players aus Nickenich: Typische Beatband aus dem Nachbarort, die sogar einen Beatwettbewerb unter 6 teilnehmenden Konkurrenten am selben Ort gewinnen konnten. Typisch: Nach der Auflösung der Band teilte sich die Formation. Die einen spielten als "Päff" weiter Coverversionen der Sixties, frühen Seventies. Der andere Part nannte sich "Difficult Departure" und stand ganz unter dem Einfluß der progressiven Welle. Sie coverten zwar auch diverse Blues und Rocksongs (Hendrix, Ten Years After), aber versuchten sich auch in eigenen Songs und das war beachtenswert.

Weitere Bands, die ich dort erlebte:
Proud Flesh (aus Bonn) : Starke Hard Rock Band mit Spätbeateinflüssen. Von denen gibt`s 2 Singles und einen LP Sampler auf Resono.

The Dust (aus Bad Kreuznach) : Belegten mal einen 3. Platz in einem Nachwuchswettbewerb des Musik Express.

Violet Rage (aus dem Westerwald): Schon sehr progressiv. Spielten u.a. "What`s Going On" von Taste.

Hastings 1066 : Neuwieder Beatband und dort die Nr. 2 hinter den Silhouettes.

ach, ja Soul Caravan spielten dort auch noch, aber die müsstest du ja kennen *grins*

Wie gesagt, dass war schon ca. `69/ `70
Wrdlbrmf
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 13.11.2006 - 04:20 Uhr  ·  #5
Reinhard, das hast Du wunderbar beschrieben. Ich wusste, dass wir auf Dich nicht verzichten können. Weiter so!
firebyrd
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 13.11.2006 - 09:13 Uhr  ·  #6
Sogar bei uns im "Städtchen" gab es eine "Szene".

Ich erinnere mich an ein "Beatfestival", 1968 ausgetragen in einer Kneipe mit Ballsaal. Vielleicht war 1968 schon etwas zu spät für Beat, und so traten anläßlich eines Bandwettbewerbs dann auch schon progressive Gruppen auf wie "Scarabaeus Sacer", denen Vorbilder wie Cream etc. klar anzuhören waren.... Die waren musikalisch sogar echt gut, und haben bei der Abstimmung auch meine Stimme bekommen.

Gewonnen hat jedoch eine Band namens "The Four Kings", aus denen sogar eine spätere Berühmtheit hervorging, nämlich der Stimmenimitator Kurt Stadel(mann). Vielleicht kennt ihn zufällig jemand.

Die sehr breite Anhängerschar dieser Gruppe hatte offensichtlich Stimmzettelmanipulation betrieben, was natürlich nicht nachgewiesen werden konnte. Aber, in Hinblick auf den Applaus für die jeweiligen Bands konnten nicht die Four Kings Sieger sein, und das bei einem , so wie ich mich erinnere, großem Vorsprung bei der Stimmenzahl.

Nun ja, heute wahrscheinlich normal, solches Geschehen.

Einige andere lokale Bands gab es auch, ich kann mich aber nicht mehr so genau erinnern, irgendwas mit "The German ......" (nicht "Bonds", natürlich...)

Wolfgang
The Return of Brian J.
 
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 13.11.2006 - 14:49 Uhr  ·  #7
Zitat geschrieben von firebyrd

Gewonnen hat jedoch eine Band namens "The Four Kings", aus denen sogar eine spätere Berühmtheit hervorging, nämlich der Stimmenimitator Kurt Stadel(mann). Vielleicht kennt ihn zufällig jemand.


Es gab eine deutsche Band namens Four Kings (4 Kings) mit einer 45er auf Vogue (DV 14 598). Titel: Save Me / Nose For Trouble. Beides Coverversionen der gleichnahmigen Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich Songs. Glaubst du, dass es sich um diese Band handelt ?
Tom Cody
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Re: Beat in der Provinz - Erinnerungen

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Gepostet: 06.06.2012 - 18:00 Uhr  ·  #8
Feine Erinnerungen!

Die Yankees, das waren doch die mit "Halbstark", oder? :?
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