Für Artisten, die auch noch dem gedruckten Wort – außer der Bibel – frönen.
Im Urlaub gelesen:
David Vann „Die Unermesslichkeit“, Suhrkamp 2012, ca. 350 Seiten
Der Roman spielt in Alaska, ein paar will seine Ehe retten und scheitert grandios. Alaska bietet die Bühne dafür, „es geht um Überleben und Willenskraft, um menschliche Beziehungen und Liebe“. Alaska zeigt sich hier aber auch von seiner urwüchsigen, zerstörerischen Seite. Nicht immer unbedingt ein Landstrich, in dem es sich leicht leben lässt. Vanns Schilderungen der Landschaft, der Natur und ihrer Gewalten sind überzeugend, wie das ganze Buch. Leider derzeit nur als Hardcover erhältlich.
Julie Otsuka „Wovon wir träumten“, mare Verlag Hamburg 2012, 157 Seiten
Junge Japanerinnen überqueren anfangs des 20. Jahrhunderts den Pazifik, um japanische Einwanderer in Kalifornien zu heiraten. Ihre auf sie wartenden zukünftigen Ehemänner sehen fast nie so aus, wie auf den Bildern vom Heiratsvermittler. „The torture never stops“, um es mal so auszudrücken. Das Leiden beginnt, die Frauen werden von ihren Männern geschlagen, vergewaltigt, umgebracht, müssen auf den Feldern Amerikas schwerste Arbeit verrichten, ohne je einen Lichtstreif am Horizont resp. in ihrer Existenz zu erkennen. Dazu müssen sie erkennen, dass sie in einem absolut rassistischen Land leben.
Der Bogen spannt sich von der Einwanderung der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Angriff der Japaner auf Pearl Harbour und der anschließenden landesweiten Deportation, Entrechtung und existenziellen Vernichtung der im Land lebenden und als Kollaborateure verdächtigten japanischen Einwanderer.
Julie Otsuka, japanischer Abstammung und 1962 in Kalifornien geboren, beschreibt sehr einfühlsam den Leidensweg der Japanerinnen, ihrer Männer und Kinder.
Diese beiden Bücher waren schnell ausgelesen, also musste im Urlaub neuer Lesestoff her. Den gab es in Form von Taschenbüchern:
Tadeusz Borowski „Bei uns in Auschwitz“, btb 2008, ca. 400 Seiten
Es gibt viele Berichte über den Holocaust, die Lager, über Auschwitz. Borowski schreibt ziemlich distanziert und nüchtern, auf den ersten Blick, über das, was er erlebt hat. Er schreibt aus der Sicht der Kapos in den Lagern, er „verzichtet auf eine Trennung zwischen Tätern und Opfern“. Borowski wurde 1922 in Schitomir (Ukraine) geboren, studierte Polonistik in der Untergrund-Universität in Warschau, wurde 1943 verhaftet und kam nach Auschwitz und andere Lager, zuletzt Dachau. 1951 nahm Borowski sich in Warschau das Leben.
Aus der Kramkiste rekrutiert:
Tim Rob Smith „Kind 44“, Goldmann 2010, ca.500 Seiten
Die Story spielt 1953 in Moskau. Stalinzeit, absoluter Terror, Unrecht, Mord und Deportationen sind an der Tagesordnung. Willkürurteile werden gefällt, alle leben in Angst und Schrecken. Das politische Terrorsystem der Stalinzeit wird hier sehr gut beschrieben. Die Hauptgeschichte dreht sich um mysteriöse Todesfälle, ausgeweidete Kinderleichen werden gefunden, deren Zahl sich auf 44 summiert. Aber da die gesellschaftlichen Bedingungen für Verbrechen laut stalinscher Theorie fehlen, darf es auch keine Verbrechen geben. Und also auch keine Ermittlungen darüber. Doch einer versucht es …
Lohnenswerter Krimi, ich war doch ziemlich überrascht!
Auch ein Politkrimi, aber der etwas anderen Art:
Edith Anderson „Liebe im Exil“, btb 2010, ca. 500 Seiten
Edith Anderson lernt 1943 in New York den deutschen Exilanten Max Schröder kennen. Sie Kommunistin, er Kommunist. Es kommt, wie es kommen muss – sie folgt ihm 1947 nach Deutschland, nach Berlin. Ab 1949 gibt es Deutschland im Doppelpack und sie leben ausgerechnet im Osten des Landes. Max Schröder ist im Aufbau Verlag in Ostberlin quasi Gründungsmitglied und politisch wie gesellschaftlich ziemlich eingebunden. Edith Anderson beschreibt ihre Jahre 1947 bis 1958 in Ostberlin. Und sie beschreibt damit gleichzeitig, wie sie den Terror erst der russischen Besatzer, dann der jungen DDR und deren Staatssicherheitsdienstes und seiner Willkür erlebt. Sie beschreibt, was vom hohen Anspruch der jungen DDR an Kunst, Kultur, Demokratie usw. blieb bzw. nie vorhanden war. Und wenn, dann nur auf dem Papier.
Sehr interessante Geschichtslektion!
Und zum Abschluss noch eine Empfehlung:
Stephen King „Der Anschlag“, Heyne 2011, ca. 1056 Seiten
2011 erfährt ein Mann - Jake Epping - von einem befreundeten Imbissbudenbesitzer, dass er ein Portal ins Jahr 1958 gefunden und auch jahrelang benutzt habe. Der Imbissbudenbesitzer ist krank geworden, hat Krebs und lebt nicht mehr lange. Er will aber dass Jake Epping zurück in die Vergangenheit geht und den Mord an Kennedy 1963 verhindert. Und alles Schlimme, was danach sonst noch passieren soll. Allerdings lässt die Vergangenheit sich nicht so leicht ändern und wehrt sich. Der sogenannte Schmetterlingseffekt kommt ins Spiel und alles läuft irgendwie aus dem Ruder. Allerdings kann man Fehlschläge in der Vergangenheit reparieren, in dem man zurück in die Zukunft geht und wieder zurück in die Vergangenheit, denn jeder Wechsel zwischen den Zeiten bewirkt einen kompletten Neustart in der Vergangenheit. Zudem dauert der Aufenthalt in der Vergangenheit immer nur zwei Minuten, egal wie lange man dort war. Alle scheint gleich zu sein, kehrt man immer wieder in die Vergangenheit zurück. Allerdings scheint es nur so …
Mehr sei nicht verraten. Ein absolut lesenswerter King Roman. Fast durchgehend schlüssig geschrieben und logisch im Handlungsstrang. Leider nur als Hardcover erhältlich derzeit. Mein Sohn borgte mir den Wälzer, ich sparte Geld.
Radiot grüßt! :8)
Im Urlaub gelesen:
David Vann „Die Unermesslichkeit“, Suhrkamp 2012, ca. 350 Seiten
Der Roman spielt in Alaska, ein paar will seine Ehe retten und scheitert grandios. Alaska bietet die Bühne dafür, „es geht um Überleben und Willenskraft, um menschliche Beziehungen und Liebe“. Alaska zeigt sich hier aber auch von seiner urwüchsigen, zerstörerischen Seite. Nicht immer unbedingt ein Landstrich, in dem es sich leicht leben lässt. Vanns Schilderungen der Landschaft, der Natur und ihrer Gewalten sind überzeugend, wie das ganze Buch. Leider derzeit nur als Hardcover erhältlich.
Julie Otsuka „Wovon wir träumten“, mare Verlag Hamburg 2012, 157 Seiten
Junge Japanerinnen überqueren anfangs des 20. Jahrhunderts den Pazifik, um japanische Einwanderer in Kalifornien zu heiraten. Ihre auf sie wartenden zukünftigen Ehemänner sehen fast nie so aus, wie auf den Bildern vom Heiratsvermittler. „The torture never stops“, um es mal so auszudrücken. Das Leiden beginnt, die Frauen werden von ihren Männern geschlagen, vergewaltigt, umgebracht, müssen auf den Feldern Amerikas schwerste Arbeit verrichten, ohne je einen Lichtstreif am Horizont resp. in ihrer Existenz zu erkennen. Dazu müssen sie erkennen, dass sie in einem absolut rassistischen Land leben.
Der Bogen spannt sich von der Einwanderung der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Angriff der Japaner auf Pearl Harbour und der anschließenden landesweiten Deportation, Entrechtung und existenziellen Vernichtung der im Land lebenden und als Kollaborateure verdächtigten japanischen Einwanderer.
Julie Otsuka, japanischer Abstammung und 1962 in Kalifornien geboren, beschreibt sehr einfühlsam den Leidensweg der Japanerinnen, ihrer Männer und Kinder.
Diese beiden Bücher waren schnell ausgelesen, also musste im Urlaub neuer Lesestoff her. Den gab es in Form von Taschenbüchern:
Tadeusz Borowski „Bei uns in Auschwitz“, btb 2008, ca. 400 Seiten
Es gibt viele Berichte über den Holocaust, die Lager, über Auschwitz. Borowski schreibt ziemlich distanziert und nüchtern, auf den ersten Blick, über das, was er erlebt hat. Er schreibt aus der Sicht der Kapos in den Lagern, er „verzichtet auf eine Trennung zwischen Tätern und Opfern“. Borowski wurde 1922 in Schitomir (Ukraine) geboren, studierte Polonistik in der Untergrund-Universität in Warschau, wurde 1943 verhaftet und kam nach Auschwitz und andere Lager, zuletzt Dachau. 1951 nahm Borowski sich in Warschau das Leben.
Aus der Kramkiste rekrutiert:
Tim Rob Smith „Kind 44“, Goldmann 2010, ca.500 Seiten
Die Story spielt 1953 in Moskau. Stalinzeit, absoluter Terror, Unrecht, Mord und Deportationen sind an der Tagesordnung. Willkürurteile werden gefällt, alle leben in Angst und Schrecken. Das politische Terrorsystem der Stalinzeit wird hier sehr gut beschrieben. Die Hauptgeschichte dreht sich um mysteriöse Todesfälle, ausgeweidete Kinderleichen werden gefunden, deren Zahl sich auf 44 summiert. Aber da die gesellschaftlichen Bedingungen für Verbrechen laut stalinscher Theorie fehlen, darf es auch keine Verbrechen geben. Und also auch keine Ermittlungen darüber. Doch einer versucht es …
Lohnenswerter Krimi, ich war doch ziemlich überrascht!
Auch ein Politkrimi, aber der etwas anderen Art:
Edith Anderson „Liebe im Exil“, btb 2010, ca. 500 Seiten
Edith Anderson lernt 1943 in New York den deutschen Exilanten Max Schröder kennen. Sie Kommunistin, er Kommunist. Es kommt, wie es kommen muss – sie folgt ihm 1947 nach Deutschland, nach Berlin. Ab 1949 gibt es Deutschland im Doppelpack und sie leben ausgerechnet im Osten des Landes. Max Schröder ist im Aufbau Verlag in Ostberlin quasi Gründungsmitglied und politisch wie gesellschaftlich ziemlich eingebunden. Edith Anderson beschreibt ihre Jahre 1947 bis 1958 in Ostberlin. Und sie beschreibt damit gleichzeitig, wie sie den Terror erst der russischen Besatzer, dann der jungen DDR und deren Staatssicherheitsdienstes und seiner Willkür erlebt. Sie beschreibt, was vom hohen Anspruch der jungen DDR an Kunst, Kultur, Demokratie usw. blieb bzw. nie vorhanden war. Und wenn, dann nur auf dem Papier.
Sehr interessante Geschichtslektion!
Und zum Abschluss noch eine Empfehlung:
Stephen King „Der Anschlag“, Heyne 2011, ca. 1056 Seiten
2011 erfährt ein Mann - Jake Epping - von einem befreundeten Imbissbudenbesitzer, dass er ein Portal ins Jahr 1958 gefunden und auch jahrelang benutzt habe. Der Imbissbudenbesitzer ist krank geworden, hat Krebs und lebt nicht mehr lange. Er will aber dass Jake Epping zurück in die Vergangenheit geht und den Mord an Kennedy 1963 verhindert. Und alles Schlimme, was danach sonst noch passieren soll. Allerdings lässt die Vergangenheit sich nicht so leicht ändern und wehrt sich. Der sogenannte Schmetterlingseffekt kommt ins Spiel und alles läuft irgendwie aus dem Ruder. Allerdings kann man Fehlschläge in der Vergangenheit reparieren, in dem man zurück in die Zukunft geht und wieder zurück in die Vergangenheit, denn jeder Wechsel zwischen den Zeiten bewirkt einen kompletten Neustart in der Vergangenheit. Zudem dauert der Aufenthalt in der Vergangenheit immer nur zwei Minuten, egal wie lange man dort war. Alle scheint gleich zu sein, kehrt man immer wieder in die Vergangenheit zurück. Allerdings scheint es nur so …
Mehr sei nicht verraten. Ein absolut lesenswerter King Roman. Fast durchgehend schlüssig geschrieben und logisch im Handlungsstrang. Leider nur als Hardcover erhältlich derzeit. Mein Sohn borgte mir den Wälzer, ich sparte Geld.
Radiot grüßt! :8)