Keen Tiet (Keine Zeit)

 
Moniek
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Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 17.04.2017 - 21:17 Uhr  ·  #1
Keen Tied


Keen Tied, doröver kunn Gesine bloß mööd grienen.
Veel to veel Tied het se hat, veel to veel.
Klock söß fun se sick op dat Sofa lingend vör. Wedder eenmol weer se för de Fernseher indööst und verquer und verdreiht opwookt. Se kunn und kunn nich int Bett finn, har keen Rhytmus mehr, siet se in Rente schickt wohr.
In all de Johr har se dat to een Leiterin vun een lütte Poststell bröcht, weer tofreeden, de Kunden muchen se. Denn woor de Zwiechstell schlooten, tiedgliek har se ehr Pensionsöller to footen kreegen.
Een gans lütte Koot, in Haby, aarft vur ehr Grootöllern, höre ehr. . se har nümmer freeht und Kinner har se ook keen.
Ehr leechet Leven dreie sik bloß um ehr Beruf.
Dor weer dat all meist vörprogrammeert, dat se sotoseggen in een schwattet Lock full, as se nich mehr to'n Deenst fohrn durf.
Mööd und Lustlos schlurfe se no de Döör hin, um de Zeitung rintoholen. Fröher weer se fitt und durich in Bewegung, har nümmer Tied. Nu har een deepe Erschöpfung vun ehr Besitz ergreepen. Viellicht sull se mol no'n Dokter hin, meene se. Na ja, moorn is ok noch een Dach.
As se de Husdöör oopen mooke seet vör ehr op de Footmatt een lütte Katt. Se seech een beeten zuppelich und afmoogert ut, keek ehr mit wunnerschöne, bernsteenfarbende Oogen an.
Nodem Gesine de lütte Katt eenige Tied mustert har, erhoov sik dat lütte Tier und stolzeere seelelruhich int Hus und leche sik ganz sölbstverständlich op de Teppich, de för dat Sofa leech.
Nümmers har Gesine een Tier beseeten und sik ook keen wünscht.
Nu har een Geschöpf se utwählt, dat mooke ehr sprooklos.
Een Schohl mit Wooter stelle se ehrn Gast hin, watt ook gern annohmen woor.
denn fohre se no de lütte Hööker int Döörp, köffe Kattenfooder und frooch, ob eener wüss, wer een Katt vermisst. All de Lüüt schüddeln de Köpp denn geef man ehr een Stück Papeer, op de se "Katze zugelaufen" schreef, mit een Beschriebung vun de Lütte. De Hööker meene noch to ehr, se schull sik man Kattenstreu und een lütte Schüffel mit nehmen. Enn Kattenklo harn se nich, over een lütte flache Schohl deh dat jo vörlööpig ok. De Kundschaft und dat Personal överdreepen sik dorbi, ehr goode Rootschläge to geven und de Hööker het ehr ok noch anbooden, wenn se mit de Katt noh'n Tierdokter fohren müss, ehr een Kattentransportkorf to leehen.
Fix wer een Stünn vergohn und Gesine har nich een Minut doröver nohdacht, watt se wohl as neechstes doon künn.
Se hung de Zettel ant schwatte Brett, beluhr noch gau de annern Uthänge und mooke sik op de Heimwech.
De Katt leech as vörhin op de Lööper, keek kort hoch, um sik glieks wedder zusoomen to rullen.
Denn mooke de frisch ernennt Kattenbesitzerin dat Kattenklo vör, und denn geev se een beeten Fooder in een Schüddel.
Nischierich bekeek sik de nühe Mitbewohnerin allns und mooke sik över dat Fooder her.
Jede Dach tööve Gesine op een Telefonanroop und keek bi de Höker vörbi, ob sik enner meldet har.
Immer wedder keem dat to levhafte Schnackerien, de sik bloß um de Katt dreihern. eening Döörpsbewohner dreepen sik regelmäßig, um Drohtesel to fohren oder in dat Noverdöörp schwimmen ti gohn. So weer dat natürlich, dat ook Gesine froogt wor, ob se nich mol mitmooken wull.
Toerst zögere se noch, as se an een schöne, warme Fröhjohrsdach doch överwunden har, har se so veel Spoß as all lang nich mehr.
Dat nääste Dreepen feebere se regelrech entgegen, mooke ok sülm Vörschläch, wat man tosomen mooken kunn.
Koorten speelen, Kaffee drinken, tohoopen Koocken.
Wenichstens een mol de Week stunn wat anneres op dat Programm. Denn kümmere man sik ok noch um een ooles Ehepoor int Nooverschopp, köffe för se in und verbröche jümmers een beeten Tied mit se.
För ehr Katt, de se Molly dööpt het, funn sik keener, de Anspruch op ehr har.
Gau wehr dat Fröhjohr und de Sommer vergohn, und wenn Gesine nich ehr lütte Goorden beacker, oder mit de Döörpsbewohner een dreepen plone, seet se ok gern mol in de Leegestohl und keek Molly to, de jümmer versöche, Fleegen to fangen.
De Pausen empfunn se over nich as langwielig, sünnern as Atempause in ehr wedder beweechte Alldach.
Keen Tied mehr to Sinneren und gruliche Gedanken nohtohangen.
Wenn fröhere Arbeitskolleginnen froogen, wat se de leeve lange Dach mookt, denn secht se jümmers: "Ik heff jümmers wat to doon".
Autorin: Monika Sudholz, Hannover – Übersetzer: Ingo Harder, Schleswig




Keen Tiet (Keine Zeit)


Keine Zeit, darüber konnte Gesine nur müde lächeln.

Viel zu viel Zeit hatte sie, viel zu viel.

Um sechs Uhr fand sie sich auf dem Sofa liegend vor. Wieder einmal war sie vor dem Fernseher eingeschlummert und verquer und verdreht aufgewacht.
Sie konnte und konnte nicht ins Bett finden, hatte keinen Rhythmus mehr, seit sie In Rente geschickt wurde.

In all den Jahren hatte sie es zur Leiterin einer kleinen Poststelle gebracht, war zufrieden, die Kunden mochten sie. Dann wurde diese Filiale geschlossen, zeitgleich hatte sie ihr Pensionsalter erreicht.
Ein sehr kleines Häuschen in Haby, geerbt von ihren Großeltern, gehörte ihr. Sie hatte nie geheiratet und Kinder hatte sie auch keine.
Ihr ganzes Leben drehte sich nur um den Beruf.
Da war es ja fast schon vorprogrammiert, dass sie sozusagen in ein schwarzes Loch fiel, als sie nicht mehr zum Dienst fahren durfte.

Müde und lustlos schlurfte sie zur Tür, um die Zeitung hereinzuholen.
Früher war sie fit und ständig in Bewegung, hatte nie Zeit. Nun hatte eine tiefe Erschöpfung von ihr Besitz ergriffen.
Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen, dachte sie. Na ja, Morgen ist auch noch ein Tag.

Als sie die Haustür öffnete, saß vor ihr, auf der Fußmatte, eine kleine Katze. Sie sah etwas zerzaust und mager aus, schaute sie ruhig mit wunderschönen, bernsteinfarbenen Augen an.
Nachdem Gesine und das Kätzchen sich einige Zeit gemustert hatten, erhob sich das kleine Tier und stolzierte seelenruhig ins Haus und legte sich ganz selbstverständlich auf den Teppich, der vor dem Sofa lag.
Nie hatte Gesine ein Tier besessen und sich auch keins gewünscht.
Nun hatte ein Geschöpf sie ausgewählt, das machte sie sprachlos.
Eine Schale mit Wasser stellte sie ihrem Gast hin, was auch gerne angenommen wurde.
Dann fuhr sie zu dem kleinen Supermarkt im Dorf, kaufte Katzenfutter und fragte, ob Jemand wüsste, wer eine Katze vermisst. Alle schüttelten den Kopf, dann gab man ihr einen Bogen Papier, auf den sie Katze zugelaufen schrieb, mit einer Beschreibung der Kleinen. Der Inhaber riet ihr noch, Katzenstreu mitzunehmen und eine Schaufel. Eine Katzentoilette hatten sie nicht, aber eine flache Schale tat es ja vorläufig auch.
Die Kunden und das Personal übertrafen sich dabei, ihr gute Ratschläge zu geben und der Ladenbesitzer bot ihr noch an, wenn sie mit dem Kätzchen zum Tierarzt fahren müsste, ihr seinen Katzentransportkorb zu leihen.

Fix war eine Stunde vergangen und Gesine hatte nicht eine Minute darüber nachgedacht, was sie wohl als nächstes tun könnte.
Sie hängte den Zettel ans schwarze Brett, streifte mit einem Blick die anderen Aushänge und machte sich auf den Heimweg.
Die Katze lag wie vorher auf dem Läufer und schaute kurz hoch, um sich gleich wieder zusammen zu rollen.
Zuerst bereitete die neu ernannte Katzenbesitzerin die Katzentoilette vor, dann füllte sie etwas Futter in eine Schüssel.
Gespannt hatte ihre neue Mitbewohnerin alles beobachtet, dann machte sie sich über das Futter her.
Jeden Tag wartete Gesine auf einen Telefonanruf, schaute auch im Laden vorbei, ob sich Jemand gemeldet hatte.

Immer wieder kam es zu lebhaften Gesprächen, die sich nicht nur um Katzen drehten. Einige Dorfmitbewohner trafen sich regelmäßig, um zusammen Fahrrad zu fahren oder im Nachbarort schwimmen zu gehen. So war es nur natürlich, dass auch Gesine gefragt wurde, ob sie sich ihnen nicht mal anschließen würde.
Zuerst zögerte sie noch, aber als sie sich an einem schönen, warmen Frühlingstag doch überwunden hatte, hatte sie so viel Spaß, wie schon lange nicht mehr.
Den nächsten Treffen fieberte sie regelrecht entgegen, macht auch selbst Vorschläge, was man gemeinsam unternehmen könnte.
Karten spielen, Kaffee trinken, gemeinsam kochen.
Wenigstens einmal in der Woche stand etwas Anderes auf dem Programm.
Dann kümmerte sich sich noch um ein betagtes Ehepaar in der Nachbarschaft, kaufte für sie ein und verbrachte immer ein wenig Zeit mit ihnen.
Für ihr Kätzchen, die sie Molly getauft hatte, fand sich Niemand, der Anspruch auf sie erhoben hätte.

Schnell waren der Frühling und der Sommer vergangen und wenn Gesine nicht ihren kleinen Garten bearbeitete oder mit anderen Dorfbewohnern Treffen plante, saß sie auch mal gerne im Liegestuhl und schaute Molly zu, die spielte und Fliegen fangen wollte.
Diese Pausen empfand sie aber nicht als langweilig, sondern als Atempause in ihrem nun wieder bewegten Alltag.
Keine Zeit mehr zum Sinnieren und gruligen Gedanken nachzuhängen.
Fragten sie frühere Arbeitskollegen, was sie denn so den lieben langen Tag machen würde, sagte sie nur: Ich habe immer was zu tun.





Autorin: Monika Sudholz, Hannover
Übersetzt von Ingo Harder, Schleswig
kraut-brain
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Re: Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 18.04.2017 - 18:45 Uhr  ·  #2
Schön, dass du diese Geschichte uns in zweierlei Sprachformen übermittelt hast. Als Norddeutscher ist mir platt zwar geläufig, bin aber mit den vielen Feinheiten in dieser Sprachart nicht im Detail vertraut.

Ich denke, dass diese Lebensgeschichte durchaus auf etliche Menschen zutrifft, die ihren dritten Lebensabschnitt beschreiten. Daran kann man ersehen, dass neben der erforderlichen Gesundheit entsprechende soziale Bindungen unheimlich wichtig sind.

Moniek, es hat in der Tat wieder Spaß gemacht, deiner Schmöckergeschichte zu folgen.
Moniek
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Re: Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 18.04.2017 - 22:10 Uhr  ·  #3
Dankeschön, es sind ja nur kleine Geschichten, die Euch erfreuen sollen.
White Bird
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Re: Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 19.04.2017 - 10:36 Uhr  ·  #4
Danke wieder für deine "kleine" Geschichte", die wirklich lesenswert ist. Es ist eine schöne kurzweilige Facette dieses Forums ....


LG White Bird :happy:
Moniek
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Re: Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 19.04.2017 - 14:01 Uhr  ·  #5
Dankeschön
sunny
 
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Re: Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 19.04.2017 - 18:41 Uhr  ·  #6
Also ich nehm die Variante 2, das versteht man wenigstens.
Moni vielen Dank für die Zeit die du lesetechnisch für uns ablieferst. :D
Moniek
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Re: Keen Tiet (Keine Zeit)

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Gepostet: 19.04.2017 - 22:16 Uhr  ·  #7
Danke Sunny, ich verstehe beide Versionen, nur selbst schreiben, kann ich es nicht.
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