Tommy ist gar nicht brav

 
Moniek
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Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 13.06.2017 - 13:55 Uhr  ·  #1
Tommy ist gar nicht brav

Nein, brav war Tommy wirklich nicht.
Er war jetzt 5 Jahre alt und hatte noch eine Schwester, die schon 17 Jahre war und einen großen Bruder, der war auch schon 20 Jahre.
Der kleine Tommy wurde von Anfang an sehr verwöhnt. Er brauchte nur mit dem Fuß aufzustampfen, dann bekam er fast alles, was er wollte.
Wenn er etwas nicht bekam oder seine Mutter einfach mal *Nein* sagte, konnte er sehr frech werden.
Er war der absolute Liebling seines großen Bruders, der spielte mit ihm Fußball und ging mit ihm Kaulquappen fangen, wenn er Zeit für ihn hatte. Wenn Tommy einen seiner Wutanfälle bekam, ging er einfach aus dem Zimmer oder drehte ihm den Rücken zu, bis er sich beruhigt hatte, seinen Willen bekam er aber auch dann nicht.
Tommy merkte sich das und war meistens ganz lieb, wenn Silas, sein großer Bruder, mit ihm etwas unternahm.
Seine Schwester Sarah liebte ihn auch, hatte aber wenig Zeit für ihn. Sie hatte viele Freundinnen und Freunde und war oft unterwegs.
Wenn er bei ihr versuchte, seinen Willen durchzusetzen, nahm sie ihn hoch und schwenkte ihn herum, bis ihm fast schwindelig wurde, dann gab es ganz viele Küsschen auf die Wange.
Das mochte er gar nicht, er war doch schon ein großer Junge. Grimmig wischte er sich mit dem Ärmel das Gesicht ab und ging in sein Zimmer.
Im Kindergarten musste Tommy häufig alleine spielen, weil die anderen Kinder es nicht mochten, dass er immer nur bestimmen wollte und sehr schnell wütend wurde, wenn er seinen Willen nicht bekam.
Er schubste, schlug und trat die anderen Kinder, so dass die Erzieherinnen ihn in eine Ecke schickten, damit er sich beruhigen konnte. Sie redeten sehr viel mit ihm und er versprach immer wieder, dass er lieb sein wolle, aber er hielt sich nicht dran.
Oft telefonierten sie auch mit seiner Mutter, oder sprachen mit ihr, wenn sie Tommy mittags abholte.
Nur….es wurde nicht besser.
Er wollte nicht essen, was seine Mutter ihm gekocht hatte, sondern stopfte sich mit Keksen und Schokolade voll.
Er ging nicht ins Bett, sondern setzte sich vor den Fernseher und verlangte, einen Kinderfilm zu sehen.
Wenn Besuch da war, führte er sich so unmöglich auf, dass die meisten früher wieder gingen, als sie vorgehabt hatten.
Die Mutter war oft traurig, aber auch abweisend, wenn ihr jemand sagte, dass das so nicht weiterginge mit Tommy.
Dann war sie besonders lieb zu ihm und er bekam wieder mal alles, was er wollte, denn sie hatte ja nur ihn. Die Großen gingen ihrer Wege, der Vater von Tommy war sehr beschäftigt, er war oft tagelang nicht zu Hause und musste viel reisen.
Vielleicht hatte er aber auch bloß keine Lust auf den frechen Tommy.
Tommy ließ sich nichts sagen und wenn die Mutter es trotzdem versuchte und einige zaghafte Versuche startete, wurde furchtbar wütend, trat gegen die Türen und schlug mit den Fäusten nach ihr.
Zuerst nur aus gebührendem Abstand aber diese Anfälle häuften sich und man konnte richtig Angst bekommen, wenn man in sein wutverzerrtes Gesicht schaute.
Die Mutter merkte allmählich, dass etwas geschehen musste………aber was?
Sie fühlte sich so hilflos und allein gelassen und kam nicht auf den Gedanken, dass es allein ihre Schuld war, dass sich Tommy zu solch einem Monster entwickelt hatte.
Alle Kontakte zu ihren Freundinnen brach sie ab und erfand immer wieder neue Ausreden, damit es zu keinem Treffen kam.
Die beiden Großen bekamen wenig von dem mit, was hier passierte, denn in Gegenwart von Silas und Sarah schaffte er es meistens, einigermaßen brav zu sein.
Die Klagen aus dem Kindergarten nahmen zu und eines Tages rief die Leiterin die Mutter an und eröffnete ihr, dass aus erzieherischen Maßnahmen der Tommy eine Woche nicht in die Kita gehen durfte. Er hatte wiederholt Streit mit anderen Kindern angefangen und ein Mädchen in seinem Alter, die aber kleiner und zarter war als er, so heftig auf die Nase geschlagen, dass sie zu bluten anfing. Als ihn eine Erzieherin festhielt, damit er nicht noch mehr anrichten konnte, trat und schlug er auch nach ihr und sie hatte Mühe, dem zu entgehen.
Bis zum Schluss musste er sich auf dem Hochbett aufhalten, das als Kuschelplatz im Spielzimmer stand. Nachdem er alle Kissen und Plüschtiere heruntergeworfen hatte, blieb ihm nichts mehr übrig, als zu warten, bis er abgeholt würde.
Die Leiter hatte die Erzieherin zum Glück weggenommen und zu springen traute sich Tommy nun doch nicht.
Er tat nur immer so mutig.
Die anderen Kinder spielten friedlich dort unten und nach einer Weile versuchte er, sie heranzulocken, denn ihm war langweilig.
Er lag auf dem Bauch auf dem Hochbett und als eines der größeren Mädchen in seine Nähe kam, griff er blitzschnell zu und zerrte sie an den Haaren hin und her. Das Geschrei war groß und in dem Moment tauchte die Mutter mit der Leiterin an der Tür auf.
Das Mädchen weinte und schrie und versuchte, ihm zu entkommen, aber er hielt fest und kniete sich schließlich hin, damit er den Arm weiter ausstrecken konnte.
Da geschah es…………das Mädchen nahm ihre ganze Kraft zusammen, hielt ihren Zopf mit beiden Händen und zog mit einem Ruck, um sich zu befreien.
Tommy, der gerade durch die Ankunft seiner Mutter abgelenkt war, konnte sich nicht halten und fiel kopfüber auf den Boden, wo er ganz still liegen blieb.
Dann schlug er die Augen auf und fing an zu schreien, bis nach wenigen Minuten der Notarzt kam und ihm eine Beruhigungsspritze gab. Er meinte, dass wohl das Bein gebrochen war und der schon alarmierte Krankenwagen ihn mitnehmen würde, die Mutter könne ja mitfahren.
Ja, da lag nach einiger Zeit der kleine Junge blaß und still in seinem Krankenbett, das Bein war vom Hacken bis zum Oberschenkel in Gips und zum Ruhigstellen waren beide Füße etwa 50 cm hoch an einem Gestell befestigt.

Die Mutter saß an seinem Bett und auch der Vater war ins Krankenhaus gekommen, um Tommy zu besuchen.

Es dauerte einige Zeit, bis er aufwachte und sofort fing er an zu schreien, einmal wegen der Schmerzen und weil er sich nicht bewegen konnte.
Er schrie und weinte und wütete, bis der Arzt kam und ihm etwas zur Beruhigung geben musste.
Aber kaum war er wieder wach, ging das Theater von Neuem los.
Die Schwestern und Ärzte waren sehr geduldig, aber die anderen Kinder im Zimmer kamen kaum noch zur Ruhe, so dass Tommy immer einige Zeit in einem schmalen Raum allein verbringen musste, so sehr er auch protestierte.
Die Pfleger schoben einfach sein Bett hinein und machten die Tür zu.
Dann durfte auch die Mutter ihn nicht besuchen, sondern musste warten, bis er wieder in seinem Zimmer war.
Nur eine Krankenschwester oder ein Pfleger schauten öfter nach ihm.

Seine Mutter wartete darauf, dass er wieder ins Zimmer durfte.
Nach Hause wollte sie nicht gehen, dort merkte sie besonders, dass ihr kleiner Junge nicht da war.
Weil seine Mutter sich langweilte, fing sie an, den anderen Kindern Märchen und Geschichten zu erzählen, manchmal sang sie auch mit ihnen Kinderlieder.
Den kranken Kindern gefiel es und auch der Mutter machte es sehr viel Spaß, hatte doch Tommy gar kein Interesse daran gezeigt, als er noch zu Hause war.
Wenn der Junge dann wieder ins Zimmer durfte, waren die anderen Kinder so vergnügt, lachten und redeten mit seiner Mutter, baten sie auch oft noch um eine Geschichte oder ein Lied, so dass Tommy ganz eifersüchtig wurde, denn es war ja schließlich s e i n e Mutter.

Sie kümmerte sich dann auch nur noch um ihn, aber wenn eins der anderen Kinder eine Frage an sie richtete, bekam es auch eine freundliche Antwort.
Tommy wurde ganz neugierig, welches Geheimnis die anderen Kinder mit seiner Mutter teilten, aber da er bockig war und mit keinem der Kinder sprechen wollte, blieb es vorläufig für ihn im Verborgenen.
Nach und nach wurde die Märchenstunde auf der Kinderstation eine feste Einrichtung und auch die Kinder in den anderen Zimmern wollten daran teilnehmen.
Wer nicht fest im Bett liegen musste, kam in Tommys Zimmer und setzte sich einfach dazu und die Mutter besuchte auch mal andere kleine Patienten, die nicht das Bett verlassen konnten.
Da jetzt immer die Türen weit geöffnet waren, damit möglichst viele der Kranken die Geschichten und Lieder hören konnten, konnte auch Tommy ein wenig von dem hören, was seine Mutter erzählte und sang. Längst hatte sie ihre Gitarre mitgebracht, auf der sie in ihrer Jugend spielen gelernt hatte.
Als einer der Pfleger versehentlich die Tür nicht ganz geschlossen hatte, verstand der kleine Rebell jedes Wort und……..man glaubt es kaum……… er lag in seinem Bett und lächelte.
Vergessen war für eine kurze Zeit der Schmerz, die Unbeweglichkeit und auch sein Trotz.

Nicht, dass aus Tommy ein ganz braves Kind geworden wäre, nein. Als er endlich nach vielen Wochen das Krankenhaus verlassen durfte, noch unsicher und traurig, versuchte er auch schon wieder, seinen Willen durchzusetzen.

Doch nun ließ sich seine Mutter gar nicht mehr darauf ein.
Meckerte er am Essen herum, nahm sie es fort und er bekam nichts, bis er von selbst nach dem Essen verlangte.
Warf er mit seinen Büchern und Spielzeug nach ihr, nahm sie ihm auch das weg und er konnte die Wand anschauen.
Mit der Zeit wurde selbst ihm das zu dumm.
Dreimal in der Woche am Vormittag kam ein junges Mädchen zu ihm, weil seine Mutter auch weiterhin mit ihren Liedern und Geschichten den kranken Kindern etwas Fröhlichkeit brachte.
Damit war Tommy nun gar nicht einverstanden, aber auch in dem Punkt ließ sie sich nicht mehr von Tommy befehlen.
Nach und nach war er es leid, dass seine Aktionen ins Leere verliefen und auf einmal bat er die Mutter, ihm doch eine Geschichte zu erzählen.
Danach wollte er noch ein Lied hören.
Sobald die Mutter ihm erzählte oder vorsang, lag oder saß er ganz still da und hörte mit großen, glänzenden Augen zu.
Auch als er schon wieder herumlaufen konnte und schließlich auch den Kindergarten wieder besuchen durfte, gehörten fast täglich eine Geschichte und einige Lieder zu seinem festen Nachmittagsprogramm.

Nein – ein Engelchen wurde aus Tommy nicht, aber ein Kind, das gelernt hatte, dass sich nicht alles um die eigene Person drehte.
White Bird
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 13.06.2017 - 17:30 Uhr  ·  #2
Wahrlich wieder eine schöne Geschichte. In modifizierter Form gibt es sie als Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ihren eigenen Darstellungsweisen ..... :happy:
Moniek
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 13.06.2017 - 17:44 Uhr  ·  #3
Manche legen diese Verhaltensweisen niemals ab :D
kraut-brain
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 13.06.2017 - 17:59 Uhr  ·  #4
Chuckyhafte Verhaltensmuster findet man in allen Altersgruppen, insofern ist dir bezüglich Tommy wieder eine sehr lesenswerte und facettenreiche Geschichte dieses kleinen Teufels gelungen. Leider stolpert man im Leben immer häufiger über diese Tommy's.

Danke nochmals und es hat wieder viel Spaß gemacht, deinen Zeilen zu folgen ...
Moniek
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 13.06.2017 - 18:54 Uhr  ·  #5
Dankeschön.
Tom Cody
Labelboss
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 18.06.2017 - 20:13 Uhr  ·  #6
Moni, danke für diese interessante Geschichte. Dieses Verhaltensmuster spiegelt sich in allen Lebensbereichen, wie auch schon meine Vorposter beschrieben haben, heutzutage wieder. Das hat der kleine Tommy nicht exklusiv - leider!
Moniek
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 19.06.2017 - 09:51 Uhr  ·  #7
Das stimmt Jürgen, ein immer wiederkehrendes Thema.
Danke und Lg von Moni
sunny
 
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 20.06.2017 - 18:24 Uhr  ·  #8
danke Moni, sehr bewegende Geschichte.
Moniek
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 21.06.2017 - 11:16 Uhr  ·  #9
Dankeschön.
nixe
 
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 22.06.2017 - 10:50 Uhr  ·  #10
So, nun hab ich es endlich auch gelesen, geht tief rein, weil solche Typen gibt es überall & viele lernen es nie & nimmer!
Moniek
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Re: Tommy ist gar nicht brav

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Gepostet: 23.06.2017 - 12:26 Uhr  ·  #11
Auch an Dich einen lieben Dank.
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