Chicago Blues: A Living History

Blues reinsten Wassers......

 
firebyrd
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Chicago Blues: A Living History

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Gepostet: 03.08.2009 - 08:38 Uhr  ·  #1
Chicago Blues: A Living History

Wie wir alle wissen, ist die Entwicklung des Blues eine lange Geschichte.

Und das, was heute oftmals als Blues verstanden und gespielt wird, ist nicht mehr und nicht weniger als Blues Rock.
Darum hier eine kleine „Lehrstunde“.

In den 40ern und spätestens in den 50er Jahren kam es zu einer neuen, ja, vielleicht „schicksalshaften“ Entwicklung des Blues. Das war, „als der Blues in die Stadt kam“ vorwiegend mit dem Zentrum Chicago, wo das meiste an Neuem entstand.
Die Sorgen und Nöte der Landbevölkerung waren den Sorgen und Nöten der Städter gewichen, und arbeiteten viele Farbige einst auf Baumwollfeldern, waren es jetzt Autofabriken, Stahlwerke und andere Großindustrie... Entsprechend änderten sich die Themen, die Texte des Blues, eine ganz neue Bluesgeneration bahnte sich ihren Weg.

Nach und nach starben und sterben die alten Wegbereiter aus und viele Söhne und Enkel machten sich auf, ihr Erbe am Leben zu erhalten.
Chicago Blues, A Living History", so heißt die Band und auch der Titel dieser Doppel-CD.

Vier namhafte Musiker haben sich hier zusammen gefunden, um dem „alten Blues“ zu huldigen, und das, ich nehme es gleich vorweg, auf absolut grandiose Art und Weise, ohne Anbiederung an den derzeitigen Bluesgeschmack, der sich eher durch laute als durch gefühlvolle Klänge auszeichnet.
Kein “Schnickschnack”, just the Blues!

Zwei dieser Musiker haben den damaligen Chicago Blues in der Anfangsphase wohl gar nicht bewusst mitbekommen, denn Billy Branch, der Harper, ist Jahrgang 1951 und wurde in den 70er Jahren von Willie Dixon als Nachfolger des großartigen Carey Bell in dessen Band berufen.

Careys Sohn, Lurrie Bell, ist es dann, der hier bei den „Legends“ dabei ist. Ein energischer und zupackender Gitarrist der neuen Bluesgeneration, nie die Tradition verleugnend, ist er mit dem Geburtsjahr 1958 das Küken unter den vier Musikern.

Bevor wir zum Senior kommen, sei noch der Dritte im Bunde, John Primer, erwähnt, der 1946 geboren, im Alter von 18 in Chicago eintraf.
Und nun der Veteran, das ist der berühmte Billy Boy Arnold, der Harmonikaspieler, der so viele Titel des Chicago Blues geprägt hat und dessen Stücke vielen Musikern des Blues-, Rhythm 'n' Blues-Booms der 60er als Vorbilder dienten, am bekanntesten wohl "I Wish You Would" (Yardbirds).

1935 geboren, wurde er unterrichtet von John Lee Williamson, dem ersten „Sonny Boy“ Williamson und war später dann selbst Vorbild für andere Blueser.
In den 50ern arbeitete er mit Musikern wie Bo Diddley, Otis Spann, Fred Below und Jody Williams zusammen.
Wie mir dieser erzählte, pflegen die Beiden noch immer intensive private Kontakte, und von daher gesehen finde ich es äußerst schade, dass Jody nicht auch bei diesen Aufnahmen gegenwärtig war, er hätte so wunderbar hinein gepasst!

Wie dem auch sei, nicht allein die Vier sind es, die diese so herrlich locker-authentische und unverkrampfte Musik voller Spielfreude erzeugen.
Unter den unten erwähnten Begleitmusikern möchte ich ganz besonders einen hervor heben, den Gitarristen Billy Flynn, ein weisser Musiker, den ich zu den wohl wichtigsten zeitgenössischen Interpreten der Retro-Blues-Bewegung zähle.

Unauffällig und doch stets präsent, vermag er den Sound zu prägen, dass es auffiele, wäre er nicht dabei. Bereits im zarten Alter von 14 Jahren kam er in Kontakt mit zahlreichen Größen des Blues, die er 1970 kennen lernte. Jimmy Dawkins war es dann schließlich, der ihm den Weg bereitete. Heute blickt er auf einige eigene Alben und eine lange Anzahl von Studioeinsätzen zurück.

Auf diesem Doppeldecker ist Thema und Inhalt eine Widmung an den Chicago Blues; beginnend mit dem Jahr 1940.
So wird anhand bekannter Musiker und einigen ihrer Stücke demonstriert, wie sich die Entwicklung im wesentlichen vollzogen hat.
Natürlich konnten nicht alle der vielen stilprägenden Musiker herangezogen werden, auch nicht-typische Chicago-Blueser wie B.B. King haben in der Widmung Einzug gehalten, doch gerade diesen hätte man seiner Bedeutung wegen auch nicht unterschlagen sollen.

CD 1 umfasst den Zeitraum von 1940-1955, CD 2 den von 1955 bis zur Gegenwart.

Mit "My Little Machine" von John Lee Williamson, dem ersten Sonny Boy Williamson beginnt CD 1 und "Damn Right, I've Got The Blues", von Buddy Guy aus dem Jahre 1991 beendet CD 2.
Billy Boy Arnold singt das erste und Lurrie Bell das letzte Stück.

Dazwischen liegen 51 Jahre, die hier dargestellt werden durch Titel von Bluesern wie Big Bill Broonzy, Elmore James, Muddy Waters, Memphis Slim, Jimmy Reed, Earl Hooker oder Willie Dixon, also allesamt von hochkarätigen Musikern!

Dabei ist es meiner Meinung nach perfekt gelungen, Authentizität zu wahren,wunderbar auffällig z.B. auf dem 1941er Titel "She's Love Crazy", gespielt von Billy Boy Arnold, Billy Flynn, Johnny Iguana und Felton Crews, ganz schlagzeuglos, als wäre er damals, nur in besser Klangqualität, aufgenommen.


Diese Stimmung zieht sich prächtig durch diese musikalische Zeitreise, wirklich klasse gemacht, mir bleibt gar nichts anderes übrig, als voll des Lobes zu sein: Daher: Mein persönlicher Blues-TIPP!


Aber - Obacht, das ist nichts für Freunde des hart rockenden Blues Rocks!

Weitere Höhepunkte: Prächtig, wie Pianist Iguana sich hier wie einst der Pianist bei Elmore James anhört und die Gitarristen Bell und Flynn den Titel "I Believe" so interpretieren, als würde Elmores Geist über allem schweben und wachen, John Primer und Band, wie sie sich swingend, shuffelnd und rockend dem alten Jimmy Reed-Titel "Can't Stand To See You Go" annehmen, toll auch, wenn Billy Boy Arnold seinem alten Hit "I Wish You Would" noch einmal eine Frischzellenkur verabreicht und man merkt, dass er hier kein Pflichtprogramm abspult, sondern beherzt sein Gefühl verbreitet. Billy Flynn, meines Wissens ein großer Fan von Earl Hooker, beweist diese Leidenschaft sozusagen leidenschaftlich auf dem alten Hooker-Titel "Hooking It". Toll, wie er den Kern dessen trifft, was den "guten alten Earl" ausmachte, einfach super!

Nun gut, die Rhythmsection um Felton Crews am Bass und Kenny Smith am Schlagzeug sollte unbedingt lobend erwähnt werden, vermag sie doch, den jeweiligen Zeitgeist perfekt zu treffen und sich den verschiedenen Stücken problemlos anzupassen! Im Booklet werden die verwandten Musiker noch einmal kurz dargestellt, ein guter Überblick zum Verständnis der jeweiligen Titel und der Zeit, in der sie entstanden.

Auffällig allein ist die Tatsache, dass die 50er Jahre offensichtlich auch aus der Sicht jener, die diese Auswahl trafen, als wesentliche Entwicklungszeit überproportional berücksichtigt wurden, und dann, ab Titel 6 auf CD 2, in rascher Reihenfolge die Jahre 1965 bis 1991 abgehandelt werden.

Fazit: Eine hervorragende Lehrstunde des Chicago Blues, für alle Lernwilligen alles andere als trockener Lehrstoff. Ganz brillante Lehrer bieten den Schülern besten Unterricht, von dem man keine Sekunde schwänzen sollte.
Well done, Billy Boy & Co.!!!
Einziger Kritikpunkt, der nichts mit der Musik zu tun hat - angesichts der Spielzeit, hätte die Musik auch auf eine CD gepasst!

Die Musiker:

a) die Solisten:


Billy Boy Arnold (vocals CD 1, - #1-3, 9, CD 2, - #3, harmonica CD 1, - #1, CD 2, - #3)
John Primer (vocals, guitar, CD 1, - #5, 7, CD 2, - #1, 2,4)
Lurrie Bell (vocals, CD 1, - #6, CD 2, - #5, 11, guitar, CD 1, - #6, 8, CD 2, - #5)
Mike Avery (vocals, CD 1, -#8, CD 2, - #8, background vocals, CD 2, - #10)
Billy Branch (vocals, CD 1, - #10, CD 2, - #6,9, harmonica, CD 1, - #10, CD 2, - #2, 6, 9, 10)
Carlos Johnson (vocals, lead guitar, CD 2, - #10)



b)Die Band, The Living History Band:



Matthew Skoller (harmonica, CD 1, - #7, CD 2, - #2, 4)
Billy Flynn (guitars, slide guitar CD 1, - #6)
Johnny Iguana (keyboards, piano)
Felton Crews (bass)
Kenny 'Beedy Eyes' Smith (drums, washboard snare CD 1, - #3)


Alle Titel:


CD 1:


01:My Little Machine [John Lee Williamson, 1940] (3:19)
02:She's Love Crazy [Hudson Whittaker, 1941] (3:28)
03:Night Watchman Blues [William Broonzy, 1941] (3:45)
04:Chicago Breakdown [Maceo Merriweather, 1945] (3:14)
05:Feel Like Going Home [McKinley Morganfield, 1948] (3:07)
06:I Believe [Elmore James, 1952] (3:14 )
07:Moanin' At Midnight [Chester Burnett, 1951] (3:32)
08:Three O'Clock Blues [Lowell Fulson, 1951] (3:20)
09:Memphis Slim USA [Peter Chatman, 1952] (3:13)
10:Hate To See You Go [Walter Jacobs, 1955] (5:01)


CD 2:


01:Sugar Sweet [Mel London, 1955] (3:25)
02:Can't Stand To See You Go [Jimmy Reed, 1956] (3:05)
03:I Wish You Would [Billy Boy Arnold, 1955] (2:59)
04:Your Imagination [Sonny Boy Williamson, 1956] (3:15)
05:My Love Will Never Die [Willie Dixon, 1958] (3:37)
06:Hoodoo Man Blues [Junior Wells, 1965] (3:37)
07:Hooking It [Earl Hooker, 1960s] (4:14)
08:Out Of Bad Luck [Sam Maghett] 3:20)
09:One More Mile [McKinley Morganfield, 1974] (3:07)
10:The Healer [John Lee Hooker, 1989] (4:51)
11:Damn Right, I've Got The Blues [Buddy Guy, 1991] (4:53)



Wolfgang



http://www.chicagobluesalivinghistory.com/


:blues:
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Re: Chicago Blues: A Living History

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Gepostet: 03.08.2009 - 09:51 Uhr  ·  #2
blues zum gruss firebyrd ..... danke für diese rezi, dem ist nix hinzuzufügen. ausser, dass sie auch live ein erlebnis sind. ich konnte mich vor ein paar wochen davon in gaildorf auf dem "bluesfest 09"(www.bluesfest.de") überzeugen.

msg+"!no pasaran!"+kor
bernhard/fsm
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Re: Chicago Blues: A Living History

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Gepostet: 24.04.2017 - 20:36 Uhr  ·  #3
mal wieder nach oben damit...war diese Rezi auch Anlass dazu, mich mehr mit der Szene zu beschäftigen.
sunny
 
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Re: Chicago Blues: A Living History

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Gepostet: 25.04.2017 - 19:08 Uhr  ·  #4
danke für die Vorstellung, ganz toll beschrieben. :D
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