Thoneline Orchestra - Panta Rhei

eine moderne Big Band

 
firebyrd
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Thoneline Orchestra - Panta Rhei

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Gepostet: 05.08.2011 - 07:53 Uhr  ·  #1
Thoneline Orchestra - Panta Rhei


Eine vielbeschäftigte Dame, diese Caroline Thon...
Nach klassischem Saxofonstudium, Jazzstudium, unter anderem einem Aufenthalt an der Berklee School Of Music in Boston, bewegt(e) sich die Komponistin und Musikerin mit verschiedenen Formationen durch diverse Spielarten des Jazz, vom Duo bis zum Quintett. Hier ist sie nun mit einer Big Band.
Ihr Saxofon hat sie bei dieser Platte allerdings ruhen lassen und leitet das Orchester. Der Ursprung dieses Projektes liegt in einem Kompositionsauftrag des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2008. Seinerzeit mit dem Cologne Contemporary Jazz Orchestra eingespielt, gibt es nun das eigene Thoneline Orchestra zu hören. Die Musik wurde im August 2010 im Sendesaal des Deutschlandfunks in Köln eingespielt.

Big Bands weisen mittlerweile eine lange Tradition auf. Waren es einst Namen wie Duke Ellington, Fletcher Henderson oder Count Basie und zur Blütezeit noch viele andere mehr, so verknüpft man mit der Gegenwart eher Maynard Ferguson, Gil Evans, bei außergewöhnlichen Formationen Sun Ra oder George Russell.
Wie passt nun Caroline Thon da hinein? Gibt es Spuren aus der Vergangenheit oder Vorbilder, die offensichtlich sind? Ich glaube, am ehesten kann ich einen Vergleich zur oft komplexen und vielschichtigen Musik von Gil Evans erkennen. Genau diese Feststellung ist Basis gleich des ersten Titels, der eine Annäherung an jene Zeit beinhaltet, als Evans diese großflächigen Arrangements für Miles Davis und dessen Werke "Miles Ahead" oder "Porgy & Bess" schuf.

Dieses kurze Stück erscheint mir jedoch eher als Vorspann, als Einleitung zum kompletten Programm und wird durch den Gesang von Gojo angekündigt, die mit tadellosem Vortrag zu gefallen weiß. "You See, You Don't" weist Soli von Saxofon und Gitarre auf. Bevor ich näher darauf eingehe, noch eine kurze Anmerkung dazu, was mir bei Einsatz des Saxofonsolos sofort auffällt. Eigentlich ist es kein Solo, sondern eher ein Zwiegespräch mit dem Schlagzeug, bis durch das Ensemblespiel Frank Wingold mit seiner Gitarre vor der Tür steht.
Hierzu ist meine Beobachtung, dass das Saxofonsolo von einem sehr schwerfällig daher kommenden Schlagzeugeinsatz begleitet wird - es rockt mehr, als es swingt. An und für sich ist das nicht tragisch, doch wirkt es hier recht 'hölzern' und so gar nicht fließend. Besser ist auf jeden Fall das Zusammenspiel mit der Gitarre, wo der Drummer aus sich heraus geht und in wirklicher Kommunikation mit dem Solisten steht. Dieser setzt etwa bei Minute sechs an, genau jene schrammelnde Spielweise vorzulegen, wie sie in dieser einzigartigen Weise bislang nur Sonny Sharrock überzeugend bringen konnte. Hier bleibt es auch nur beim Ansatz und das ist dann auch gut so, denn ich möchte an dieser Stelle zwingend auf eine Referenz hinweisen, die für mich eine Vergleichsbetrachtung leicht macht: Sharrock mit seiner Platte "Ask The Ages", wo er unter anderem zusammen mit Elvin Jones und Pharoah Sanders ein wahres Feuer entfacht, das mich jedes Mal aus jedem Sessel reißen wird und wahrscheinlich sogar in angekettetem Zustand die Ketten sprengen könnte. Hier in dieser Kombination verweile ich lauschend auf dem Boden. Im Gegensatz zum Element Feuer ist es hier eher die Erde, die emotional ausgedrückt wird. Gleichwohl ist es ein kompositorisch interessanter Ansatz, der mir jedoch zu akademisch bleibt.

Das bleibt aber nicht so... Doch zunächst ertönen mit "Good To My Own" beschauliche Klänge unter dem Einsatz der Melodica, was mich nicht sehr überzeugen kann - ein interessantes Instrument im Ensemblespiel, aber solistisch? Dazu kommt der aus meiner Sicht relativ flache Scat-Einsatz von Filippa Gojo, der mich auch nicht sonderlich berührt.

Endlich wird es packender, die Musik bekommt mit "Echoes Of A Storm" etwas mehr Züge von Avantgarde. Das Arrangement sowie die Ausführung führen mich gedanklich zu einer weiteren Referenzklasse, jener von Toshiko Akiyoshi - der Japanerin, die mit ihren Big Band-Arrangements so manche Brillanz in das Genre zauberte - aufgestellt wurde. Im Ansatz sehe ich auch diese Brillanz, doch fehlt mir hier vergleichend noch dieses 'besondere Element', das schwer zu beschreiben, aber stark zu spüren ist.
Um es vorweg zu nehmen, ich halte diesen Titel für sehr gelungen. Nach dem zaghaft startenden Solo auf dem Sopransaxofon, über dem dezent hintergründig agierenden Arrangement, das sich nach und nach ebenso wie das Solo immer mehr aufbaut, bricht sich der Titel in einen mit leichtem Rock-Einschlag unterlegten Swing und gibt dem Pianosolo Raum zur Entfaltung. Diese Musik verbreitet jene Atmosphäre, wie ich sie von Künstlern des Labels ECM kennen und lieben gelernt habe.

Die mir anfänglich nicht so genehmen Klänge haben sich mit dem gerade verklungenen Titel offensichtlich verabschiedet und die Musik scheint sich zu öffnen und in eine Richtung zu entfalten, die vorführt, dass die grundsätzlich sehr guten Kompositionen auch treffend umgesetzt werden. Das mitunter langsam schleichende "Say It" und das durch ein harmonisches Basssolo eingeleitete "Home", das gemäß des Titels ein angenehm 'heimisches' Gefühl verbreitet, leiten zum für mich besten Titel des Albums, "Lisanga Part I & II", hin.
Dies ist eine Komposition von Toto Bona Lokua mit einem sehr afrikanischen Touch, sowohl durch den Rhythmus im Allgemeinen als durch die Gitarre im Besonderen dargestellt. Die Spielzeit von 11:35 bietet viel Spielraum für eine grandiose Entwicklung des Themas - herrlich, diese langsam einsetzende Steigerung. Hier zeigt sich das große Talent der Arrangeurin Caroline Thon.
In Titeln dieser Art sähe ich persönlich eine Zukunft für eine individuelle Handschrift einer modernen Big Band. Mit Ausnahme dieses Abschlussstückes bleibt mir für den Rest der Platte schlussendlich das Gefühl, dass, bei aller unbestrittenen Professionalität, ein für mich gelegentlich zu hoher 'Eleganzfaktor' vorherrscht, zu Lasten von Loslassen, Ausbrechen und Ausdruck von Gefühlen - etwas, das für mich letztlich ausmacht, ob Musik 'fesselt' oder nur unterhält. Etwas mehr Risiko wünsche ich für weitere Veröffentlichungen mit diesem Ensemble.

Alle Mitwirkenden:

Matthias Knoop (trumpet)
Steffi Deckers (trumpet)
Christian Winninghoff (trumpet)
Matthias Bergmann (trumpet)
Ben Degen (trombone)
Tobias Wember (trombone)
Philipp Schug (trombone)
Stephan Schulze (trombone)
Florian Trübsbach (saxophone)
Frank Sackenheim (saxophone)
Stephan Mattner (saxophone)
Jens Böckamp (saxophone)
Norbert Emminger (saxophone)
Laia Genc (piano)
Sebastian Räther (bass)
Jens Düppe (drums)
Filippa Gojo (vocals)
Frank Wingold (guitar)
Nils Tegen (melodica)

Die Titel:


01:Schmafu [Vent, arr. Thon] (4:13)
02:You See, You Don't [Thon] (7:51)
03:Good To My Own [Thon] (5:35)
04:Echoes Of A Storm [Thon] (9:30)
05:Say It! [Thon] (8:19)
06:Home [Thon/Vent] (9:09)
07:Lilsanga Part I & II (Reflections Of…) [Lokua, arr. Thon] (11:35)


http://www.carolinethon.de/


Wolfgang
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nobbygard
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Re: Thoneline Orchestra - Panta Rhei

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Gepostet: 05.08.2011 - 11:25 Uhr  ·  #2
Das hört sich sehr interessant an. Ich habe in der letzten Zeit viel "jungen deutschen" Jazz bei Medimops gefunden, unter anderem auch einen der Mitspieler:





Gerade habe ich mir 3 CDs vom Vibraphonisten Florian Poser bestellt - 2 habe ich schon und auch von unserem "heimatliches" Duo Piano Meets Vibes habe ich wieder 2 zu Spottpreisen gefunden!

Nobby
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