Jonathan Wilson - Fanfare
Folk / Folkrock / Psychedelic - USA 2013
[Die Band]
Besetzung und Beiträge zum Song siehe unten unter "Tracks".
[Die CD]
Wollte ich mich outfitmäßig zurückversetzen anno 1968/1970, wäre das eine recht aufwendige Prozedur - und mangels fehlenden Materials kaum noch möglich: Baticfarbe in einem Eimer mit warmem Wasser auflösen, darin ein mittels viel Kordel stellenweise abgebundenes weißes T-Shirt versenken und schön lange umrühren. Danach die Schnüre entfernen, das T-Shirt trocknen - und schon hat man so etwas schönes Hippie-mäßig buntes mit hellen Kreisen. Dazu eine olle Jeans, Fransenboots und - heute gar nicht mehr möglich - schulterlanges Haar mit Mittelscheitel. Ganz schön langwierig, das ganze.
Musikalisch gesehen wären für diese Zeitreise einige Scheiben nötig, die jahreszeitgemäß zusammengesucht werden müssten. Schwarze Rille oder, seien wir gnädig, die ersatzweise als CD besorgten Anschaffungen. Da würde einiges zusammenkommen für diesen muikalischen Abend.
Die - zumindest musikalische Alternative heißt: Jonathan Wilson. Der passende Silberling schimpft sich:
Fanfare.
Und damit wären wir auch schon bei der Vorstellung meiner gerade frisch entdeckten CD. Erscheinungsjahr 2013. Wie konnte dieses Juwel die letzten zwei Jahre unentdeckt an mir vorbeischleichen? Ich weiß nicht mehr, was mir 2013 alles ins CD-Regal gewandert ist. Dennoch behaupte ich rückblickend: Dies ist meine CD des Jahres 2013. Und die nächste CD des Jahres X muss sich sehr anstrengen, dieses Hörerlebnis zu erreichen.
Multiinstrumentalist Jonathan Wilson (Auszug seiner musikalischen Werkzeuge: Bass, Drum, Piano, Mellotron, Hammond, Fender, ElectricGuitar, Synthie...) nahm dieses Album in seinem eigenen Studio im - wo sonst - legendären Laurel Canyon auf. Nicht genug damit. Reichte es nicht, die Aufnahme im musikalisch-geschichtsträchtigen Laural Canyon zu verewigen, holte sich Wilson auch noch Mitstreiter aus jener Zeit ins Studio. So dürfte mancher Musikliebhaber bei Namen wie Jackson Browne, Graham Nash, David Crosby oder Mike Campbell verzückt die Augen verdrehen. Und bei dieser Namensliste ist auch klar, wo es auf dieser CD langgeht: Back to the 60ties, back to LC.
Manch eine dieser auf dem Album vorhandenen Songperlen startet zunächst fast poppig-harmlos. Um dann mit einem wahren Instrumental- und Stimmgewitter in die Vollen zu gehen. In die Vollen geht auch die Gesamtspielzeit dieser CD: Geschlagene 78 Minuten Back-Feeling werden hoffentlich laut an die Boxen übergeben. Nur so lässt sich Young'sches Gitarrenfeeling, die Hammondröhre, der manchmal leicht verzerrte Gesang, das Mellotron, das echte Konzertpiano oder der über manche Songs schwebende Geist John Lennons genießen.
Eröffnet wird das Juwel mit "Fanfare": Drei psychedelisch-orchestrale Minuten lang unteliegt man der Vermutung, es hier mit einem Instrumentalsong zu tun zu haben. Das Piano dominiert, gluckernde Hintergrundgeräusche, Hammond und Mellotron lassen auf den Stimmeinsatz warten. Und zunächst wie aus der Ferne setzt Wilsons' Gesang ein, um endlich präsent, leicht melancholisch den Song zu beherrschen. Ein Einstieg, an dem John Lennon seine Freude hätte.
Fanfare
"Dear Friend" beginnt ohne Umschweife mit wunderschönem Harmoniegesang. Fette Gitarrensoli mischen mit, in der Mitte wird es instrumental mit feinen Beckenschlägen, Hammond, Mellotron und ElectricGuitar. Ein irrwitziger Song, klasse, wie er verhalten beginnt und über das leicht infernale Instrumental wieder stimmlich ausklingt.
Dear Friend
Traumhaft "Cecil Taylor". Gemeinsam mit Graham Nash und David Crosby zelebriert Wilson hier einen wahrhaft göttlichen Harmoniegesang. Sparsam instrumentiert, kommen die Stimmen hier bestens zur Geltung und laden zum Schwelgen ein. Kein Instrument, kein Ton zuviel lenkt ab von diesem herrlichen Gesang.
Cecil Taylor
Ganz anders dann wieder "Illumination", welches mit verzerrter Gitarre und verzerrtem Gesang Althippies zum Griff nach einer dicken Tüte verleiten könnte. Was sie tunlichst vermeiden sollten, soll der anschließende "Desert Trip" noch genossen werden: Ab in's Auto, die Fenster runtergekurbelt, und im Takt der Akustikgitarre fußwippend und gutgelaunt der Sonne entgegen cruisen - so lässt sich diese Perle bestens genießen.
Desert Trip
Es gibt auf dieser CD kein Highlight zu nennen - zu einmalig und einmalig schön ist jeder einzelne Song. Zu erwähnen bleibt der Titel, der mich über dieses Album stolpern ließ: "Lovestrong" löste sofort beim Ersthören ein dermaßen wohliges Kribbeln aus, dass die Scheibe ohne weitere Hörproben in mein Regal respektive meinen Player musste. Allein der Start, eröffnet nur mit Piano und Cello, lässt die Augen schließen und wegträumen. Der Gesang verstärkt dieses nochmals, und nach etwas mehr als zwei Minuten geht es instrumental-improvisiert weiter. Mal drängelt sich die Gitarre, dann die Hammond in den Vordergrund - sagenhaft!
Wenn die Scheibe mit "All The Way Down" zuende geht, mag man gar nicht glauben, dass bereits über eine Stunde vergangen ist. Was für eine schöne Zeitreise, schwelgend in Melodien, Gesang und Deja-Vus. Und so passt der Abschluss der CD vielleicht sogar zur Stimmung, in der man zurückgelassen wird: Leicht melancholisch, die Zeit festhalten wollend. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt dermaßen von einer CD begeistert war.
Hier gibt es nur eine Rettung: Alles auf Anfang und wieder zurück. Back to the 60ties. Press the play-key again!
[Die Tracks]
"Fanfare"
* Jonathan Wilson – Drums, Bass, Piano, Fender Rhodes, Mellotron, Millennium bells, Hammond Organ, Vibes, Percussion and Vocals
* Keefus Ciancia - Moog synthesizers
* James King - Saxophone
* Nate Walcott - Flugelhorn
"Dear Friend"
* Jonathan Wilson – Bass, Electric Guitar, Mellotron, Vibes and Vocals
* Richard Gowen – Drums
* Jason Borger - Hammond Organ and Piano
* Omar Velasco - Electric Guitar
"Her Hair Is Growing Long"
* Jonathan Wilson - Guitars, Bass, Drums, Percussion, Hammond Organ, Synthesizer and Vocals
"Love To Love"
* Jonathan Wilson - 6 string and 12 string Electric Guitars, Acoustic Guitar, Piano, Percussion and Vocals
* Richard Gowen - Drums
* Dan Horne - Bass
* Omar Velasco - Guitar
* Jason Borger - Hammond Organ
"Future Vision"
* Jonathan Wilson - Drums, Bass, Electric Guitar, Acoustic 12 string Guitars, Piano, Hammond Organ, Synthesizers, Clavinet and Vocals
* Josh Tillman - Harmony Vocals
* Gabriel Noel - Cello
"Moses Pain"
* Jonathan Wilson - Bass, Acoustic Guitar, Harmonica, Vibes and Vocals
* Richard Gowen - Drums and Percussion
* Mike Campell - Slide Guitar
* Benmont Tench - Piano
* Jason Borger - Hammond Organ
* Jackson Browne, Graham Nash, Josh Tillman and Jenny O - Harmony Singers
"Cecil Taylor"
* Jonathan Wilson - Guitars, Bass, Piano, Hammond Organ, Drums, Percussion and Vocals
* Nate Walcott - Flugelhorn
* David Crosby - Vocal Solo and Harmony Vocals
* Graham Nash - Harmony Vocals
"Illumination"
* Jonathan Wilson - Drums, Bass, Electric Guitars, Piano, Percussion, Hammond Organ and Vocals
"Desert Trip"
* Jonathan Wilson - Acoustic Guitar, Percussion and Vocals
* Richard Gowen - Drums
* Omar Velasco - Nashville Guitar
* Gabriel Noel - Upright Bass
* Jason Borger - Piano and Mellotron
* Josh Tillman - Velvet Vocal Pillows
* Jackson Browne - Ending Vocals
"Fazon"
* Jonathan Wilson - Drums, Bass, Guitars, Piano, Mellotron, Bicycle Wheel and Vocals
* James King - Saxophone
* Farmer Dave Scher - Harmony Vocals
"New Mexico"
* Jonathan Wilson - Drums, Bass Guitars, Organ, Dulcimer, Percussion and Vocals
* Omar Velasco - Harmony Vocals
* James King - Flute
"Lovestrong"
* Jonathan Wilson - Electric Guitar, Organ, Clavinet, Synthesizer and Vocals
* Richard Owen - Drums
* Dan Horne - Bass
* Omar Velasco - Mellotron
* Benmont Tench - Piano
* Gabriel Noel - Cello
"All The Way Down"
* Jonathan Wilson - Acoustic Guitar, Piano, Percussion, Vibes, Mellotron, Stratocaster and Vocals
* Richard Owen - Drums
* Dan Horne - Bass
* Omar Velasco - Electric Guitar
* Bryce Gonzales - Chamber Radio
* Patrick Sansone - Strings Arranged and Conducted
Gesamtspielzeit: 78:22 Minuten
[Verpackung und Booklet]
Miserabel, ...auf der nach unten geschlossenen Richterskala von 1 - 10: 10 Punkte. Im Pappschuber befindet sich im vorderen Deckel ein "Booklet" mit einigen Bildern und einem Text, der sich wohl nur unter dem Elektronenmikroskop lesen lässt. Die CD im hinteren Deckel lässt sich nur mit sanfter Gewalt aus dem Pappbehälter ziehen. Diese CD hätte wahrlich eine höherwertigere und schönere Verpackung verdient. Gerne gegen einen kleinen Aufpreis.
[Hörproben]
Lovestrong
https://www.youtube.com/watch?…eJAjv-8yrJ
Cecil Taylor
https://www.youtube.com/watch?…eJAjv-8yrJ
Illumination
https://www.youtube.com/watch?…eJAjv-8yrJ
Desert Trip
https://www.youtube.com/watch?…eJAjv-8yrJ