Vitaliy Zolotov - Vitime Band

die kann ich gut empfehlen!

 
firebyrd
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Vitaliy Zolotov - Vitime Band

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Gepostet: 06.07.2010 - 08:25 Uhr  ·  #1
Vitaliy Zolotov - Vitime Band

Heute ist es nicht gerade einfach als Musiker, nicht verglichen zu werden.

So kann innerhalb einer Rezension stets wieder ein Passus auftauchen wie 'klingt wie...', 'weist Stilelemente von... auf' und so weiter ...
Da macht Vitaliy Zolotov sicher auch keine Ausnahme.
Doch einerseits haben es junge Musiker schwer, bereits einen eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden zu haben und andererseits haben sie in ihrer Entwicklung sicher das eine oder andere Vorbild gehabt, das dann auch 'abgefärbt' haben wird.

»Ich hoffe, dass meine Musik jedem eine kleine Geschichte erzählen wird«, so die Worte des Musikers im Klappentext der CD. Weiter führt er zur Musik aus, dass »sowohl dynamische Grooves mit einem Hauch von Latino-Rhythmus entstanden sind, als auch gesangvolle und melodische Songs, verträumt und melancholisch«

Doch - das ist gelungen, so meine Meinung!

Eine dieser Geschichten handelt laut dem Titel dann wohl von einer weiblichen Person, die dem Künstler bereits einige Male signalisierte, das Fahrrad zurück zu bringen (Track 1). Dieser Umstand ging mir beim Hören nun durch den Sinn, ohne dass ich spontan den Sachverhalt assoziieren konnte. Na ja, wie eine Fahrradfahrt mit einem die Haare zersausenden Wind kann man das locker und mit lateinamerikanisch-sommerlicher Note vorgetragene Stück dann wohl doch interpretieren. Vielleicht bringt Vitaliy das besagte Fahrrad ja gerade, fröhlich ein Liedchen pfeifend, zurück. Rhythmisch erlebe ich ebenfalls ab und zu auch das Vibrieren afrikanischer Stimmungen.

Hoffen wir, dass er das mit einem Foto belegen wird, woraus wir schließen könnten, dass er mit dem Rad durch Berlin fährt, ist doch "Foto aus Berlin" gleich der nächste Song. Einer, der mich an alte Zeiten des ECM-Labels erinnert, als der Gitarrenkollege Pat Metheny dort frisch aufschlug. Dazu jedoch noch ein subtil eingeschobener rockender Rhythmus, aber nur zaghaft. Fein und zart dann auch die Pianoklänge, und da wären wir bei Lyle Mays, jenem Herren, der Metheny damals auch begleitete - in der Tat, das geht in diese Richtung. Dabei ist Heimstatt des ECM-Labels doch München, nicht Berlin.

Aber von Berlin ist es dann etwas näher Richtung Russland, dem mit "Russische Geschichten" dann die Ehre zuteil wird, musikalisch in eine Geschichte eingebunden zu sein. Hier wird mehr Gefühl als bisher investiert, mit melancholischen Tönen wird diese Geschichte vorgetragen, sehr angenehm, sehr harmonisch, mit viel Bildsprache. Ja, hier kann ich mir gut Bilder im Kopf entstehen lassen, die Stimmung wird hervorragend transportiert. Die russischen Geschichten mit der akustischen Gitarre haben einen verträumten Charakter, werden aber auch mit sanftem Druck vom Schlagzeug gestützt.

"Seven", die erste englische Nummer mit englischem Titel, lateinamerikanische Einflüsse, leicht groovend locker wie eine Sommerbrise, das ist nicht besonders packend, aber sehr unterhaltsam.

Weiter auf englisch: Auf "Air On The Palm" klackert die Perkussion, das geht Richtung Fusion, etwa in dem Stil, wie er in den Achtzigern gepflegt wurde. Dann, wenn der Gesang einsetzt, noch ein kleiner zeitlicher Rückschritt in die Endsiebziger, im Sound an das erinnernd, was die Musiker um Flora Purim und Airto Moreira vorlegten, vielleicht noch ein kleiner 'Schuss CTI', also Musik dieses seinerzeit berühmten Labels von Creed Taylor. Das Gitarrensolo gefällt mir hier sehr gut, versucht Zolotov doch mit Erfolg, sich von gewissen Stereotypen bestimmter Jazz-Gitarren-Soli zu lösen. Er entwickelt hier wirklich eigene Ansätze und Ideen. Etwas kurz, aber intensiv, das Solo, dass mich jedoch aufhorchen lässt.

Und nun lässt der Herbst im Fenster ("Autumn In The Window") hörbar die Blätter fallen, die Melancholie der Jahreszeit ist nachvollziehbar, das ist wirklich wieder sanft dahinschwebend und zur Träumerei verführend. Der Pfad des Jazz scheint fast verlassen worden zu sein, das ist schon fast ein Stimmungsbild aus der Unterhaltungsmusik. Doch nie gerät es platt, denn kleine Spielereien und im Arrangement versteckte Feinheiten bringen Leben und Farbe in die trist erscheinende Herbstlandschaft. Ein hohes Maß an Unterhaltung attestiere ich diesem Stück, dass dann in ein "Gespräch zu Zweit" überleitet, auch noch leicht in dieser Herbststimmung.

Vielleicht hat man sich ja über die ausstehenden "Ferien in Moskau" unterhalten, die nun mit akustischer Gitarre eingeleitet werden. Für einige mag das 'Geklimper' sein, für andere ist das eine Umsetzung von Impressionen, Musik gewordene Gedankenspiele des Künstlers, denen wir uns entweder verschließen oder öffnen. Wie auch immer, mir geht es so, dass auch hier in meinem Kopf Gedanken losgelöst werden, allein dergestalt, wie Vitaliy seine Ferien in Moskau verbringen mag.
Ich entdecke dann Spuren von Django Reinhardt, in einem Moment einer Sequenz, um im nächsten Moment verträumt am Ufer der Moskva bei Sonnenuntergang zu promenieren. Schön gemacht, dieser träumerische Abschluss.

Im Spiel des Gitarristen entdecke und empfinde ich viel Technik, die jedoch nicht mit allzu viel Kraft protzt, sondern gedrosselt ist, und das Element Gefühl mit einem wesentlichen Anteil einbringt. Viele lyrische Momente, mit denen Zolotov aus meiner Sicht sein Vorhaben umgesetzt hat.
Ich freue mich auf weitere Produktionen, ich könnte mir ein 'ECM-Umfeld' durchaus gut vorstellen - Hallo, Manfred Eicher!


Die Mitmusiker aus verschiedenen Fleckchen der Erde (Weißrussland, Kolumbien, Serbien und den USA) überzeugen durch dichtes Spiel in harmonischer Einheit mit dem Protagonisten:


Vitaliy Zolotov (guitars)
Timofey Birukov (drums)
Bruno Böhmer Camacho (piano)
Fedor Ruskuc (double bass)
Rodrigo Villalón (percussion)
David Rynkowski (voice - # 5)

Die Titel:


01:Sie sagte mir schon paar mal, daß ich das Fahrrad zurück bringen muss (5:59)
02:Foto aus Berlin (7:51)
03:Russische Geschichten (5:27)
04:Seven (8:18)
05:Air On The Palm (7:10)
06:Autumn In The Window (6:53)
07:Gespräch zu Zweit (9:16)
08:Ferien in Moskau (4:58)
(all compositions and arrangements by Vitaliy Zolokov)



www.myspace.com/vitaliyzolotov

Wolfgang
risou
 
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Re: Vitaliy Zolotov - Vitime Band

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Gepostet: 07.07.2010 - 19:36 Uhr  ·  #2
Klingt spannend...Danke für die ausgefeilte Rezi und den Tip!
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