v.l. Tommy Eyre; Victor Brox; John Moorshead; Aynsley Dunbar; Alex Dmochowski
versammeln sich zum fotoshoot meines Allzeit-Lieblings-LP-covers:
To Mum From Aynsley & The Boys (Liberty 1969)
01Don't Take The Power Away 4:00
02 Run You Off The Hill 5:43
03 Let It Ride 5:00
04 Journey's End 5:45
05 Down, Down And Down 5:55
06 Unheard 2:20
07 Sugar On The Line 4:25
08 Leaving Right Away 7:55
Victor Brox - Trumpet, Keyboards, Vocals
Aynsley Dunbar - Drums
John Moorshead - Guitar, Vocals
Keith Tillman Bass
Alex Dmochowski - Bass
Tommy Eyre - Keyboards
am anfang unserer straße wohnte ein widerlicher kleiner panz; er schrie uns frechheiten
hinterher, wenn er sich sicher glaubte; er war vorlaut, dreist, unverschämt und versteckte
sich gerne hinter einflußreichen und auch finanziell reichen eltern.
Einmal warf er mir einen ziegelstein an den kopf, und da wurde ich tatsächlich ein bißchen
ohnmächtig und verlor etwas rote flüssigkeit....
Wenn ich ihn erwischen konnte, kriegte er die fresse poliert; und ich erwischte ihn oft,
so oft wie möglich.
Natürlich wollten wir ihn beim fußball nicht dabeihaben; er trat nach jedem, der in seine
nähe kam und besaß die verfrorenheit, Lothar Emmerich sein zu wollen.
Welche anmaßung, denn mein damaliger bester freund besetzte schon die Lothar Emmerich-
rolle; und ich war Hennes Löhr und so taten wir uns zusammen um dem falschen Emmerich
wieder mal die fresse zu polieren....
Wir wurden älter; ER, Stecher, schmiß keine ziegelsteine mehr und ICH unterließ das
fressepolieren: einmal aus humanistischen gründen, aber dann auch wieder, weil
er mich plötzlich um ein paar zentimeter überragte....
außerdem war er jetzt nicht mehr 'Emma-mit-der-linken-klebe', sondern Bill Ward
von Black Sabbath; seine eltern hatten ihm ein profi-schlagzeug gekauft, eins mit allem
drum und dran! Wow!
Wir sprachen über seine Sabbath-scheiben und stellten gemeinsame interessen fest;
der kleine rüpel besaß einen kaum zu fassenden musikverstand und bald war er weit über
B.S. hinaus.
3 takte irgend eines stückes von Cream oder den Allman Brothers und er wußte
schon titel und komponisten; konnte auch die instrumentalen höhepunkte jeder
nummer auswendig hersagen... Toll!
es lief immer besser und wenn bei ihm oder mir eine neue scheibe eintrudelte,
setzten wir uns sofort zum hören und diskutieren zusammen. Wir hatten den gleichen
geschmack, jedenfalls in bezug auf mucke und getränke; nur bei den mädels hatten wir
unterschiedliche geschmäcker; und das war ja prima so, denn so kam man sich nie in die quere.
Bei der mucke gab es allerdings doch eine kleine diskrepanz. Stecher hatte nämlich
irgendwann die Aynsley Dunbar Retaliation entdeckt und jetzt behauptete er steif und fest,
die band sei die beste blues-rock band der welt mit Aynsley Dunbar als welt-bestem drummer.
Kein tag ohne Aynsley; 'Aynsley Über Alles'... , das war mir irgendwie zuviel.
Außerdem fand ich den namen bescheuert. Und hörte die Retaliation schon aus
reiner opposition nicht.
Irgendwann im frühjahr 1972 hatte es mich erwischt; eine richtig fette grippe;
ich lag darnieder, phantasierte und kriegte nichts mehr mit; bald würde ich sterben,
ganz sicher.
Von den kumpels ließ sich niemand blicken, nur Stecher machte einen krankenbesuch.
Und stellte mir dabei einen armvoll vinyl neben den plattenspieler, den ich wiederum noch
so eben vom krankenbett aus bedienen konnte.
Da standen jetzt die Allman Brothers – Live At The Fillmore und ein paar werke von Zappa,
aber irgendwie hatte der verdammte Stecher auch eine der drei Dunbar-lps eingeschmuggelt.
Die würde ich bestimmt nicht auflegen!
Aynsley... watt ene blöde nam iss dat dann …?
aber ich war länger krank, tres malade; fix und fertig und schließlich, völlig im Fieberwahn,
landete 'To Mum From Aynsley And The Boys' doch auf dem plattenteller.
Damit wars um mich geschehen:
erst bemerkte ich es nicht, aber ich hatte längst verloren; denn
dies war tatsächlich haargenau meine musikalische kragenweite:
sehr verhaltene, langsam gespielte blues-rocker mit eigenständigen texten;
intensive und nie nervende gitarrensoli (John Moorshead) als untermalung einer der
schwärzesten stimmen, die England damals zu bieten hatte (Victor Brox);
dazu diese verschmitzten orgelläufe (Tommy Eyre), die gleichzeitig soli waren
und dann doch wieder nur die melodie von hinten heraus nach vorne trieben.
Ja, und dann natürlich der meister himself; der namensgebende drummer, der
zwar kein einziges stück geschrieben hatte, aber doch durch seine brilliante
rhythmusarbeit dem ganzen den stempel aufdrückte; immer profiliert, aber nie
übertrieben, herausragend nicht nur durch die beats, die er schlug, sondern
genauso durch jene, die er nicht schlug; dezente zurückhaltung, wo andere
vielleicht übertrieben losgehämmert hätten.
Jede einzelne nummer gefiel mir:
'Don't Take The Power' away, ein ultra-slo-mo blues mit einem kurzen trompeten-intro
und äußerst verhaltenem trommel-klopfen; Aynsley klopft vielleicht ans schlafzimmer
und Victor singt: 'jede nacht tue ich alles, um dir einen orgasmus zu verschaffen, also
versage mir bitte nicht die kraft deiner liebe....'
hej, das ist mal 'ne lyrik aus dem wahren leben.
'Run You Off The Hill' ist ein zeitlupenboogie mit sehr prägnantem
blues-rock-gitarrensoli und dieser kräftig rollenden orgel zu der sich gelegentlich
ein klimperpiano gesellt: 'Ich will keinen Ärger, aber ich werde Dich Vom Hohen Roß
runterholen, solltest du mir je in die quere kommen...' .
genau Victor; sag deiner alten mal bescheid.
'Let It Ride' beginnt mit treibender orgel und dazwischengesprengelten gitarren-
noten, bevor wieder mal Victor's lakonische botschaft erklingt; 'laß es laufen, mann,
laß es einfach passieren'. Dazu wieder diese unnachahmliche lässigkeit der
rhythmusgruppe; auch wenn du kein drummer bist, kannst du spüren, wie Aynsley
ganz locker aus dem handgelenk heraus akzentuiert. Leute, DASS, genau DASS
ist PROGRESSIVE musik, denn so fortschrittlich war der blues bis dahin noch
kaum gespielt worden.
'Journey's End' beginnt diesmal mit einer liturgischen bach- und kirchenorgel,
und dann kommt der nächste zeilupenblues mit klimperpiano und messerscharfen
gitarrennoten.
'Down, Down And Down' ist wieder etwas treibender: Aynsley startet das ganze
mit rollendem klopfen über alle felle, dazu passen wieder diese wunderbar
unaufdringlichen Moorshead-solo-noten, während Victor uns vorlamentiert, daß
es mit seinem leben nur in eine richtung geht: abwärts.
'Unheard': Aynsley's kurzes instrumentales zwischenspiel, begleitet von jazz-piano.
Zwei minuten jazz als vorspiel zum schon dritten überhammer der platte:
'Sugar On The Line'. Drums, perkussion, gitarre, alle spielen sich bei diesem
flott vorgetragenen blues-rocker mit seinen längeren instrumentalen passagen
in den vordergrund; ein stück das mir seit 45 jahren nicht mehr aus dem kopf gehen;
und wie sollte es auch, die Beatles haben es später GESTOHLEN um 'Get Back'
daraus zu machen (gut gemacht, Beatles).
'Leaving Right Away'; wen wunderts, daß es zum abschluß der platte eine 7-
minütige krönung gibt, auf der noch einmal alle vorher schon beschriebenen
register gezogern werden; wieder eine verhalten-schnelle nummer, bei der die
gitarre aus dem 'off' zu kommen scheint, während sich Tommy Eyre vorne mit
piano-klimpereien in szene setzt.
Drei tage später und nach wiederholtem anhören war ich von den toten auferstanden;
kurz darauf wurde nicht nur 'To Mum..' angeschafft, sondern auch die ersten
beiden lps der Retaliation; später kam gar noch die 4. hinzu 'Remains To Be Heard',
auf der Aynsley nur noch bei 5 oder 6 stücken mitspielt (und die nicht besonders
toll ist) und von da ab waren Stecher und ich uns auch bei dieser band einig.
Das lp-cover ist für uns eines der genialsten; wir haben es hundert male angeschaut
und uns am darin enthaltenen humor erfreut; jetzt hängt es schon jahrzehnte
eingerahmt an der wand.
'To Mum..' zu hören, ohne dabei an Stecher zu denken, wäre mir unmöglich.
Seither haben sich unsere wege mehrmals getrennt, kamen aber immer wieder
zusammen und meistens feiern wir das, indem wir die platte auflegen und uns,
wie 12-jährige schuljungen, schon im voraus begeistert auf das nächst-anstehende
musikalische highlight aufmerksam machen.
Heute abend werden wir mit vielen leuten zusammensitzen, die keine ahnung
von musik haben und während die anderen vom betreuten wohnen und neuen
rolator-modellen schwatzen, wird Stecher sie, wie eh und je, mit scharfzüngiger
kritik in die schranken weisen und dann werden wir irgendwann die Retaliation
auflegen:
I'm gonna run you off the Hill, I'm gonna run EVERYBODY off the hill!