HAWKWIND - Live 79

 
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HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 27.04.2007 - 11:48 Uhr  ·  #1
Erstaunlich, dass ich dieses Livealbum von Hawkwind noch gar nicht besprochen habe. War es doch meine allererste bewusste Bekanntschaft mit ihnen, und das auch nur, weil die Platte damals im Fach mit den Heavy-Metal-Neuheiten einsortiert war.

Nach den Wirren der drei vorangegangenen Jahre (Rauswurf von Nik Turner und anderen Bandmitgliedern, Auflösung und Neugründung der Band, verstärkte Probleme mit und Ausstieg von Sänger Bob Calvert) war es fast ein kleines Wunder, dass die Band einen Vertrag mit Bronze Records bekam. Aber eben – Heavy Metal war gerade am Entstehen und Gerry Bron, der Label-Eigner von Bronze (die eine Menge Heavy-Metal-/Hardrock-Bands unter Vertrag hatten) war der Meinung, Hawkwind passten gut in sein Konzept. Es sollte aber ein Livealbum her, da die Band auf der Bühne immer einen Gutteil rockiger, wilder und durchaus auch härter war.

Schon mit den ersten Tönen von „Shot down in the night“ lösen die Hawks hier Brons Hoffnung ein. Das einzige für Hawkwind geschriebene Stück des Kurzzeitkeyboarders Steve Swindells rockt straight hartrockend über siebeneinhalb Minuten durch. Wirklich schöne Gitarrensoli von Lloyd-Langton geben dem Ganzen noch zusätzlich Pfeffer.

Im ersten Stück sind die Keyboards noch kaum zu vernehmen und das überrascht, sind sie doch bei diesem Album zum erstenmal mit einem schon berühmten Gast besetzt: Tim Blake von den Psychedelikern Gong stößt hier zur Band und bleibt ihnen seitdem über die Jahre mit wechselnden Festengagements sowie in Teilzeitarbeit erhalten.

Seine wunderbar weichen Keyboardklänge verzieren „Motorway City“, das zweite damals brandneue Stück im Live-Set. Verhalten rockend mit einem Ohrwurm-Refrain und eben den erwähnten Tastenklängen versehen, entwickelte sich das Stück schnell zu einem Klassiker im Bandkatalog. Die hier vorhandene Liveversion schlägt die ein Jahr später erscheinende Studioaufnahme (Album „Levitation“) locker.

Als drittes folgt nichts anderes als die bis heute beste Version des Hawkwind-Klassikers „Spirit of the age“. Eigentlich ein typisches Bob-Calvert-Stück in Text und Vortrag, macht Dave Brocks Gesang durch den Vocoder hier trotzdem die bessere Figur für mich. Wiederum tragen Blakes Klänge zur Faszination des Stücks bei. Die anfangs unterkühlte, dem Thema angepasste Stimmung zieht nach und nach an und wird zu einem großartigen Space-Rocker, wiedereinmal wesentlich schneller als die Studioversion gespielt (bei Hawkwind nicht so selten).

Klotzen, nicht kleckern, und so folgt der nächste riesengroße Klassiker der Band. Nik Turners „Brainstorm“ erinnert hier aber eher an eine Coverversion einer Heavy-Metal-Band. Da fehlt mir eindeutig die anarchische Wirkung, die Turners quäkendes Sax immer mit sich brachte. Trotzdem hart-rockend und gut, nur gibt’s da bessere Versionen.

Mit „Lighthouse“ folgt ein Solostück von Tim Blake aus seinem sehr zu empfehlenden Electronic-Album „Blake’s New Jerusalem“. Blakes Vertrag mit der Band sah von Anfang an ausgiebige Solospots während der Konzerte vor. Das ist bis heute einmalig bei Hawkwind, da kein anderer Musiker in der Band je soviel Raum für eigenes Material bekam. Der Beherrscher der Crystal Machine (Blakes liebevoller Name für sein Keyboard Arsenal) nutzte dies immer auf vorzügliche Weise, meist mit dem hier vorliegenden Stück sowie dem Titelsong seines erwähnten Albums. Leider ist das hier nicht drauf, da ich es fast noch einen Tick besser finde.

„Master of the universe“, ein weiterer Riesenklassiker des Backkatalogs, folgt als nächstes, und im Gegensatz zu „Brainstorm“ funktioniert die single-taugliche Kurzversion hier prächtig. Ein Track, dem das Prädikat "Heavy Metal" gut steht. Für mich die definitive Aufnahme des Songs.

Den Abschluß der Einzel-LP bildet dann ein auf anderthalb Minuten verstümmeltes „Silver Machine“, das auch noch mittendrin mit einer Explosion die Platte beendet. Man sagt, Hawkwind hatten damals die Nase von ihrem großen Single-Hit voll und wollten mit dieser Verkürztversion das Stück symbolisch zu Grabe tragen. Schwer zu glauben, da sie bei Konzerten das Stück normal ausspielten. Scheint eher ein Gag der Plattenfirma gewesen zu sein.

„Live 79“ ist ein großartiges Hawkwind-Livealbum. Rein von der transportierten Energie würde ich es sogar als ihr bestes Bühnendokument bezeichnen. Es gibt aber leider zwei große Nachteile. Der Sound ist irgendwie dumpf. Da ich nicht die Anfang der 90er Jahre erschienene Remaster-Version habe, weiß ich nicht, ob das da verbessert wurde. Zweiter und gravierenderer Nachteil ist natürlich die Einzel-LP/CD, die große Teile des Konzertes ausspart.

Auf der 1999 erschienenen Doppel-Live-CD „Complete 79 – Collector Series Vol. 1“ befindet sich zwar dann endlich ein gesamtes Konzert der damaligen Tour (inkl. dem erwähnten Blake Solospot „Blake’s New Jerusalem), jedoch hat der Sound dort leider sogar nur Bootleg-Qualität. Dem Hawkwind-Fan empfehle ich trotzdem diese Komplettversion, ein Hawkwind-Einsteiger ist mit diesem hier besprochenen hart rockenden Livewerk der Space-Könige aber bestens bedient.

Besetzung:
Dave Brock - Lead Vocals, Guitar, Keyboards, Synths
Simon King - Drums
Tim Blake - Keyboards, Synthesizer
Harvey Bainbridge - Bass, Backing Vocals
Huw Lloyd-Langton - Lead Guitar, Backing Vocals

Songs:
1. Shot down in the night 7:39
2. Motorway City 8:10
3. Spirit of the age 8:20
4. Brainstorm 8:41
5. Lighthouse 6:26
6. Master of the universe 4:34
7. Silver Machine (Requiem) 1:23

Jahr: 1980
Label: Castle Communications

Jerry
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Daisan
 
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Re: HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 27.04.2007 - 23:50 Uhr  ·  #2
Hallo Jerry,

ja, da werden Erinnerungen wach, die Live 79 war meine zweite Scheibe von den Hawkbuben (nach der "Roadhawks", die ich mir wohl um 1978 gekauft hatte).

Shot down in the night und Motorway City sind wirklich hochklassig und rockig. Auch heute noch gern gehört....

Spirit of the age, da kann ich nur zustimmen, ist in dieser Version unerreicht, mir gefällt schon am Anfang dieser "Kristall-Synthesizer" (verschärft gut aufgrund von zusätzlichen Flanging- und Phasing Effekten).

Masters of the universe: Ein HAMMER, für mich als ich in dieser Zeit noch leidenschaftlich Gitarre spielte DER Hardrocksong schlechthin.
Dieser Sound, so klar und hart, daß er auf mich wirkte wie eine Legierung aus Metall und Kristall, hat mich damals fast umgehauen - maßgeblich bestimmt und bewirkt durch die harte, schnelle und verdammt gute Rhythmusgitarre, war für mich ein echtes Vorbild. Wenn ich mich da zurückerinnere bedauere ich schon, daß ich die Klampferei vor über 20 Jahren aufgegeben habe....schade.....

Lighthouse: Es ist so wunderschön, so mystisch-meditativ, der Wellenritt am Rande des Universums, der Song lief oft bei mir zu Hause und wirkte überaus Generationenverbindend, da auch mein alter Häuptling (1980 war er auch schon stattliche 63 Jahre alt) dieses Stück liebte, deswegen ist dies für mich etwas ganz besonderes. Dieser Song hält die Erinnerung an meinen Vater für mich sehr lebendig (1995 ist er im Alter von 78 Jahren gestorben) - auch heute noch höre ich den Song noch oft, weil er so viele gute Gefühle/Erinnerungen in mir wachruft....

*seufz*

Liebe Grüsse

Roland
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Re: HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 28.04.2007 - 12:32 Uhr  ·  #3
Ein Vater der "Lighthouse" von Tim Blake liebte !!! Ich beneide dich. Meiner hätte was von langhaarigem Affen gemurmelt.

Ich liebe die Stimmung bei Lighthouse auch sehr. In Verbindung mit dem Text "far away in outer space a lighthouse guiding stars" hatte ich mir immer sehr schöne Bilder vorgestellt. Quasi ein Science Fiction Film wie ich ihn gern sehen würde, ohne dumpfes Rumgeballere.

Kennst du das Stück "Blake's New Jerusalem " ? Wenn nicht, ich glaube ich muß dir mal was Gutes tun ;-)

Jerry
Daisan
 
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Re: HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 28.04.2007 - 20:56 Uhr  ·  #4
Hallo Jerry,

ja, mein Häuptling mochte sogar den Hendrix (klar, ...watchtower, hey Joe, little wing und so....), aber erstaunlicherweise auch Star Spangled Banner (!!!!), allerdings nicht weil er es schön fand, sondern weil er die Genialität bewunderte, mit der Hendrix die US-Nationalhymne akustisch in Stücke riß....das hatte politische Gründe, weil ihm die US-Aussenpolitik und die Adenauerzeit zutiefst verhasst war.

Aber ich schweife ab: Lighthouse ist wirklich ein verkanntes Juwel, ein Meilenstein der modernen Musik, hier setze ich den Satz fort: "....it´s there to help the human race to tell you where you are....so take fix on lighthouses..." weiter weiss ich jetzt nicht....aber der Text ist gut und passt auch so gut.

Und: LEIDER kenne ich das New Jerusalem nicht, was täte ich für eine Hörprobe oder ähnliches......mail Dich dieser Tage a mal an, muss Dir sowieso mal einen Abriss über die letzten Monate geben, war ziemlich viel los bei mir.....aber letztendlich gut gelaufen.

Liebe Grüsse

Roland
Trurl
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Re: HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 28.04.2007 - 21:10 Uhr  ·  #5
Zitat geschrieben von Jerry Garcia
Kennst du das Stück "Blake's New Jerusalem " ? Wenn nicht, ich glaube ich muß dir mal was Gutes tun ;-)Jerry


ich kenne es auch nicht :-)

Trurl - komischerweise habe ich nix von Hawkwind - sind immer an mir vorbeigelaufen. Was ich mal gehört hatte (astounding irgendwas) hatte keine bleibende Erinnerung gelassen.
Daisan
 
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Re: HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 29.04.2007 - 11:38 Uhr  ·  #6
Hallo Trurl,

vermutlich hast Du am Anfang die falschen Stücke gehört, weil das ist die Crux mti Hawkwind, es ist ja nicht alles von denen gut (oder erschliesst sich erst nach langem wiederholtem Zuhören).

Wenn ich mich an eine CD zurückerinnere (irgendsoeine "Friends & Relations"),
die war so abgrundtief grottenschlecht, daß ich die wutentbrannt weggeschmissen habe, die hätte ich nicht mal jemandem geschenkt, den ich nicht mag...

In der Gesamtheit jedoch finde ich die Jungs wirklich sehr gut und für mich sind sie eben etwas besonderes. Über die Jahrzehnte habe ich mir die Musik immer wieder angehört, auch inder Zeit wo ich mir keine Schallplatten oder CD´s mehr kaufte und Musik überhaupt nicht mehr weiterverfolgte.
Insofern ist Hawkwind eine musikalische Konstante in meinem Leben, auch wenn mir klar ist, daß ich viel zu wenig weiss und ich bei weitem nicht alles von den Jungs kenne. Der Bogen spannt sich weit über die Jahrzehnte - manches war schlecht, manches gut und manches für meine Begriffe genial. Besser kann ich es nicht beschreiben, sie bringen irgendetwas in mir zum klingen. Es ist, als hätten sie eine Art Schlüssel zum Unterbewusstsein. Deswegen habe ich ganz am Anfang meines Daseins im Forum mal so halb spasshaft geschrieben:
"Die Sache mit dem Hawkwind-Gen". Irgendwas ist da schon dran.

Gut möglich, daß 99 % der Menschen Hawkwind nicht so gut finden könnten, aber gottseidank findet gerade in der Musik jedes Tierchen sein Pläsierchen :)

Grüsse

Daisan
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Re: HAWKWIND - Live 79

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Gepostet: 29.04.2007 - 11:53 Uhr  ·  #7
@Trurl: Weiß Bescheid, Blake ist notiert.

Mit Hawkwinds hunderten von Alben ists halt so ne Sache. Es gibt soviel Zeug von ihnen wo nur Plattenfirmen absahnen wollen, und auch einiges das sie selbst auf den Markt schmeißen, da sie immer mit dem Geld wohl etwas klamm sind.

Drum sollte man, wenn möglich, immer nen Hawkwind Kenner vorher fragen oder sich anderweitig ausführlich informieren. Sonst erwischt man Müll und rührt die Band nie wieder an.

"Astounding sounds amazing music" hat ein paar ganz feine Songs, aber ist nicht so HW-typisch wie viele andere. Das war die erste ihrer deutlich Bob Calvert geprägten Scheiben und da kam etwas mehr Wave rein und Space raus beim Sound.

Jerry
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